GrundsaÈtze der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen 16 z 01 01 Hilfe Treffer Gesundheitspolitik unter volkswirtschaftlicher Betrachtung 16 z 01 Peter Oberender, JuÈrgen Zerth inhaltsuÈberblick Der Beitrag gibt zunaÈchst eine schrittweise EinfuÈhrung in relevante Fragestellungen gesundheitspolitischer Entscheidungen. Daran wird gemessen, inwiefern die realisierten Reformmaûnahmen in Deutschland, beginnend mit dem KostendaÈmpfungsgesetz 1977, dem Gesundheitsreformgesetz 1989, dem Gesundheitsstrukturgesetz 1992 sowie den beiden Neuordnungsgesetzen 1996 und 1997 vom zugrundegelegten Leitbild abweichen. Auch die projektierte Gesundheitsreform 2000 wird einer kurzen ordnungspolitischen Analyse unterzogen. Die Autoren stellen fest, daû der Gesetzgeber weitgehend mittels einer ad-hoc-Politik versucht hat, die Probleme des Gesundheitswesens zu loÈsen. Dabei sind aber vor allem die im institutionellen Bereich liegenden Steuerungsdefizite nicht ernsthaft beruÈcksichtigt worden. Als moÈgliche ErklaÈrung fuÈr diese Entwicklung ziehen die Autoren insbesondere den Ansatz des WaÈhlerstimmenmarktes heran. Die wachsende Interventionsspirale im Gesundheitswesen laÈût sich, so das ResuÈmee, nur durch eine ordnungspolitische Neuorientierung dauerhaft und tragfaÈhig loÈsen. GrundsaÈtze der Gesundheitspolitik 16 z 01 | 01 Gegenstand der Gesundheitspolitik ist das gesundheitsrelevante Handeln der EntscheidungstraÈger im Gesundheitswesen. Hierzu zaÈhlen Krankenversicherungen, Versicherte, Leistungserbringer sowie jene staatlichen Akteure, die fuÈr das Setzen der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen zustaÈndig sind (Regierung, AufsichtsbehoÈr1 Positive Theorie der Gesundheitspolitik 16 z 01 01 GrundsaÈtze der Gesundheitspolitik Inhalt Normative Theorie der Gesundheitspolitik Suchen Treffer Hilfe den, GesundheitsaÈmter etc.). Die Aufgabe der oÈkonomischen Theorie der Gesundheitspolitik besteht zum einen darin, das Handeln der Akteure zu beschreiben, systematisierend darzustellen und zu erklaÈren (positive Theorie). Das Erkenntnisinteresse gilt dabei der Frage, wie auf das Gesundheitswesen bezogene Ziele formuliert und Entscheidungen getroffen werden (ausfuÈhrlich zum Zusammenhang der Zielbeziehungen in der Wirtschaftspolitik KuÈlp u. Berthold 1992 S. 205 ff.). Die oÈkonomische Theorie der Gesundheitspolitik erhebt zum anderen den Anspruch der Beratung von EntscheidungstraÈgern auf der Grundlage gesundheitsoÈkonomischer Erkenntnisse (normative Theorie). Sie versucht dann, die von ihr gewonnenen Einsichten zur Bewertung von Entscheidungsalternativen anzuwenden. DafuÈr muû erforscht werden, was getan werden kann, um eine angestrebte Soll-Situation zu verwirklichen. Das hierzu erforderliche Vorgehen umfaût eine Diagnose des Ist-Zustandes, eine Analyse der Entstehungsursachen, eine Prognose sowohl uÈber die Entwicklung des Ist-Zustandes ohne Intervention wie uÈber die Auswirkungen der erwogenen Maûnahme, eine Beschreibung des angestrebten Soll-Zustandes, eine Abweichungsanalyse und die Handlungsempfehlung. Dieser Beitrag ist zum einem der Frage gewidmet, wie die deutsche Gesundheitspolitik der Ist-Situation eines staÈndig wachsenden Ausgabenanstiegs (Abb. 1) bislang begegnet, welche ordnungspolitische Beurteilung diese Maûnahmen zu erfahren haben, um dann anschlieûend darauf aufbauend eine Skizzierung eines zukuÈnftigen deutschen Gesundheitswesen zu versuchen. Als Grundlage einer ordnungspolitischen Analyse ist jedoch zuerst die Frage nach dem zugrundegelegten Steuerungsverfahren zu beantworten. 2 Inhalt Suchen Treffer Hilfe GrundsaÈtze der Gesundheitspolitik 16 z 01 01 Abb. 1: Fieberkurve im Gesundheitswesen 3 16 z 01 02 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen Treffer Hilfe 16 z 01 | 02 Gesundheitspolitik als Aufgabe Gesundheitspolitik beschreibt das Handeln der EntscheidungstraÈger Aufgabe der Ordnungspolitik ist die Etablierung allgemeiner Regeln, nach denen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft die AktivitaÈten der Wirtschaftseinheiten, der EntscheidungstraÈger im Gesundheitswesen, koordiniert werden. Eine Legitimation jeder ordnungspolitischen Ûberlegung findet sich darin, daû jedes menschliche Zusammenleben eines Regelwerkes in Form von Organisations- und Koordinationsregeln bedarf, das als Gesamtheit bestimmte Verhaltensweisen begruÈndet oder verbietet (Streit 1996). Der folgende Abschnitt zeigt zuerst im Ûberblick Elemente der Steuerungsebenen im Gesundheitswesen auf, um dann im zweiten Schritt der in der Bundesrepublik gewaÈhlten Form einer sozialen Marktwirtschaft naÈherzukommen. Es koÈnnen drei Steuerungsebenen unterschieden werden: Mikro-, Mesound Makroebene Steuerungsebenen der Gesundheitspolitik Die Austauschbeziehungen im Gesundheitswesen sind dem Ziel untergeordnet, der Befriedigung der PatientenbeduÈrfnisse unter der EinschraÈnkung der Knappheit zu dienen. Die Knappheit fordert ein gezieltes TaÈtigwerden, um bei gegebenen Mitteln eine moÈglichst umfassende BeduÈrfnisbefriedigung zu erreichen. Jedes Gesundheitswesen besteht zumindest aus zwei Parteien: den Patienten als Nachfrager und den medizinischen Leistungserbringer als Anbieter. Ûbernehmen Krankenversicherungen innerhalb des Gesundheitswesens die Aufgabe der Kollektivvorsorge, so kommen sie als dritter Part hinzu. Die Parteien stehen untereinander in Austauschbeziehungen, indem sie fuÈreinander Leistungen abgeben (Abb. 2). Die Abstimmung von Austauschbeziehungen wird als Steuerung bezeichnet. Sie kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen (Abb. 3). 4 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen 16 z 01 02 Hilfe Treffer Abb. 2: Austauschbeziehungen im Gesundheitswesen Abb. 3: Steuerungsebenen im Gesundheitswesen Eine Steuerung auf der Individualebene folgt dem Prinzip einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Versicherter und Patient, Arzt und Krankenversicherung treten als Individuen oder freiwillige Organisationen einander gegenuÈber und stimmen auf diese Weise ihre Austauschbeziehungen miteinander ab. Der Individualebene uÈbergeordnet ist die Ebene der VerbaÈnde bzw. Selbstverwal5 16 z 01 02 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen Treffer Hilfe tungsorganisationen. Auf ihr stehen sich die entsprechenden ZwangsverbaÈnde der Leistungserbringer bzw. Patientenorganisationen gegenuÈber. Diese HandlungstraÈger sind Ausfluû einer staatlichen Zwangsgewalt und folgen nicht dem freiwilligen Austauschprinzip. Die hoÈchste Steuerungsebene kann der staatlichen Gewalt zugeordnet werden. Hier uÈbernehmen staatliche Organisationen die Aufgabe der Austauschbeziehungen zwischen Leistungserbringern, Versicherten und Krankenversicherungen. WaÈhrend diese unterschiedlichen Steuerungsebenen theoretisch als Alternativen zu verstehen sind, kommen in der RealitaÈt generell Mischformen aus allen drei Steuerungsebenen vor. Um jedoch einen Konflikt der Steuerungsebenen zu vermeiden, ist dann eine Regel erforderlich, wann welche Steuerungsebene den Vorzug genieût. Eine marktwirtschaftliche Ordnung fuût auf individuellen Entscheidungen Marktwirtschaft und SolidaritaÈt Gesundheitssystem in einer Marktwirtschaft Als ordnungspolitische Grundsatzentscheidung in der Bundesrepublik ist das Konzept der sog. ¹Sozialen Marktwirtschaftª gewaÈhlt worden. Als Ausgangspunkt einer marktlichen Steuerung steht die Vorstellung eines muÈndigen BuÈrgers mit individuellen BeduÈrfnissen. Dabei weiû jeder fuÈr sich am besten, worin seine eigenen BeduÈrfnisse bestehen. Ûberindividuelle objektive BeduÈrfnisse bestehen folgerichtig nicht. Deshalb ist es nur konsequent, dem Individuum die Entscheidung daruÈber zu uÈberlassen, welche Ziele es verfolgen will. Aus dieser Ûberlegung heraus uÈbernimmt jedes Individuum eigenstaÈndig Steuerungsaufgaben. Folglich ist es eine Grundvoraussetzung, jedem Individuum persoÈnliche Freiheit zuzugestehen, um die Entscheidung uÈber sein wirtschaftliches Verhalten selbst treffen zu koÈnnen. Mit dieser Freiheit verbunden 6 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen 16 z 01 02 Hilfe Treffer ist jedoch zwingend die Verantwortung fuÈr eigenes Handeln, damit die moÈglichen Folgen individuellen Handelns in die Entscheidung mit einbezogen werden (vgl. Hayek 1991). Ûbertragen auf den Gesundheitsbereich wuÈrde dies implizieren, daû der einzelne die freie Wahl- und EntscheidungsmoÈglichkeit uÈber den anzustrebenden Gesundheitszustand bzw. fuÈr oder gegen eine Vorsorge im Krankheitsfall haben muÈûte. Dabei entscheidet jeder BuÈrger autonom im Rahmen seiner individuellen BeduÈrfnisse uÈber das Ausmaû und die Struktur seiner medizinischen Versorgung. Damit hat er selber die Therapiehoheit inne, was jedoch nicht gleichbedeutend mit Omnipotenz ist. Krankenversicherungen dienen dem Patienten als Agenten und stehen gegenseitig im Wettbewerb um Patienten sowie um Leistungserbringer. Das impliziert auch die MoÈglichkeit fuÈr die Krankenkassen mit einzelnen Leistungserbringern VertraÈge abschlieûen zu koÈnnen (selektives Kontrahieren). Die Handlungsfreiheit muû aber auch auf Seiten der Leistungserbringer gegeben sein. Ausgangspunkt fuÈr das Handeln eines medizinischen Leistungserbringers sind VerbraucherbeduÈrfnisse. KoÈnnen Verbraucher unter verschiedenen Anbietern auswaÈhlen, so konkurrieren diese Anbieter miteinander um die jeweiligen Verbraucher. Das bedeutet, daû jeder Leistungserbringer durch den Einsatz verschiedener Aktionsparameter versucht, seine individuelle Wettbewerbsposition zu verbessern und Vorteile gegenuÈber seinen Konkurrenten zu erzielen (vgl. Oberender u. Daumann 1997 S. 240 ff.). Ein Aktionsparameter ist eine wettbewerblich relevante GroÈûe, die vom einzelnen Leistungserbringer beeinfluût werden kann. Die Aktionsparameter fuÈr medizini7 Der Einzelne hat die Therapiehoheit 16 z 01 02 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen Treffer Hilfe sche Leistungserbringer umfassen u. a. folgende HandlungsmoÈglichkeiten: Honorar, Menge, QualitaÈt, Organisation, Standort, Fort- und Weiterbildung sowie Marketing. Der Einsatz der Aktionsparameter erfolgt schlieûlich innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen (z. B. rechtliche Regelungen). Je nach Gestaltung der Rahmenbedingungen koÈnnen bestimmte Aktionsparameter dem Wettbewerb entzogen werden. Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist dabei der moÈglichst freie und gleiche Marktzugang fuÈr alle Leistungserbringer. Die Prinzipien der Marktwirtschaft werden mit dem Solidarprinzip verbunden Soziale Marktwirtschaft In der Bundesrepublik ist die marktliche Steuerung im Gesundheitswesen mit dem Solidarprinzip verknuÈpft worden (MuÈller-Armack 1976). Damit werden folglich verschiedene Steuerungsebenen miteinander verbunden. Dem Konzept einer sozialen Marktwirtschaft nach wird aus der Gesundheit als Wert das politische Ziel abgeleitet, daû jeder im Krankheitsfall, unabhaÈngig von seiner individuellen LeistungsfaÈhigkeit, bestimmte GesundheitsguÈter nachfragen soll. Dieses Ziel wird durch die EinfuÈhrung einer verbindlichen solidarischen Mindestabsicherung gegen finanzielle Folgen von Erkranken (Versicherungspflicht) verwirklicht. Die konkreten AusgestaltungsvorschlaÈge einer ¹Sozialen Marktwirtschaftª folgen verschiedenen AnsaÈtzen: einmal die eher an Eucken (1975) orientierte Ordnungspolitik als Sozialpolitik, daruÈber hinaus die namentlich von MuÈller-Armack vertretene Sozialpolitik mit gesellschaftspolitischen Auftrag, die sich dem Ziel der Umverteilung verschrieben hat (MuÈller-Armack 1976). Das SubsidiaritaÈtsprinzip kann derart umgesetzt werden, daû ein bestimmter Umfang an GesundheitsguÈtern beispielsweise mit Hilfe eines Regelleistungskatalogs fest8 Gesundheitspolitik als Aufgabe Inhalt Suchen 16 z 01 02 Hilfe Treffer gelegt wird, zu dem jeder BuÈrger im Sinne einer Ergebnisgerechtigkeit gleichen Zugang hat. In diesem sollten aber dann nur jene GesundheitsguÈter aufgenommen werden, deren Nachfrage die finanzielle LeistungsfaÈhigkeit eines Konsumenten uÈbersteigen wuÈrde. Ein elementarer Bestandteil einer der sozialen Marktwirtschaft angelehnten Gesundheitsversorgung kommt der Krankenversicherung zu. Grundlegende Bestandteile sind dabei eine PraÈmiengestaltung nach dem Solidarprinzip, d. h. einkommensabhaÈngige BeitraÈge, beitragsunabhaÈngige Leistungen, daruÈber hinaus Diskriminierungsverbot und Kontrahierungszwang. Eine derart gestaltete soziale Absicherung kann aber auch dazu fuÈhren, daû die Verbindung zwischen individueller Freiheit und der Verantwortung fuÈr die Folgen des eigenen Handelns aufgehoben und der Verantwortung der Gemeinschaft uÈbertragen wird. Um dies zu verhindern, sind Regeln erforderlich, welche die individuelle SphaÈre von der kollektiven Gemeinschaft abgrenzen koÈnnen. Hierzu dient das Prinzip der SubsidiaritaÈt. Danach sollen groÈûeren Kollektiven keine Aufgaben uÈbertragen werden, die kleinere soziale Einheiten oder das Individuum selbst ebenfalls entsprechend erfuÈllen koÈnnen. Dieses Prinzip erfordert eine klare und widerspruchsfreie Abgrenzung der Kompetenzen auf den einzelnen Steuerungsebenen. Insbesondere soll eine staatliche Ordnungspolitik nach dem Prinzip allgemeiner und diskriminierungsfreier Regelungen ausgerichtet sein, um den Individuen ein HoÈchstmaû an persoÈnlicher Entscheidungsfreiheit zu erlauben (vgl. Hayek 1991). 9 Regeln sind notwendig 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt 16 z 01 | 03 Suchen Treffer Hilfe Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Im folgenden Abschnitt sollen die gesundheitspolitischen Maûnahmen in der Bundesrepublik einer ordnungspolitischen Analyse unterworfen werden. Dies erfordert aber eingangs eine Abgrenzung der PruÈfkriterien, die sich an den Ûberlegungen zu den Steuerungssystemen in einer dem SubsidiaritaÈtsprinzip angelehnten Marktwirtschaft orientieren. Kriterien: KonformitaÈt und SubsidiaritaÈt Kriterien einer kritischen WuÈrdigung Sozialpolitische Maûnahmen haben sich wie bereits weiter oben gezeigt nach dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und infolgedessen der SubsidiaritaÈt auszurichten. Eine Begrenzung erfahren alle sozialpolitische Maûnahmen in der Tradition Euckens durch die notwendige GewaÈhrleistung der Markt- und Wettbewerbswirtschaft in ihrer Gesamtheit (vgl. Eucken 1975 S. 312 f.). Daraus laÈût sich als weiteres Kriterium zur SubsidiaritaÈt eine KonformitaÈtspruÈfung konzipieren. Das Kriterium der OrdnungskonformitaÈt bezieht sich auf die Vereinbarkeit mit der oÈkonomischen und politischen Rahmenordnung. Mit der Unterscheidung zwischen Ordnungs- und Prozeûpolitik werden Anhaltspunkte dafuÈr geliefert, weil der Eingriff in den Koordinationsprozeû des Marktes bzw. den freiwilligen Austauschprozeû auf der Mikroebene besonders ¹verdaÈchtigª oder in hohem Maûe legitimationsbeduÈrftig ist. Unter ZielkonformitaÈt wird der Zielerreichungsgrad der Maûnahmen hinterfragt, namentlich bei den gesundheitspolitischen Reformen die Minimierung oder gar das Einfrieren des Ausgabenanstiegs. 10 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer KostendaÈmpfungsgesetze Angesichts der Ausgabenentwicklung in der GKV fand Mitte der 70er Jahre ein Umdenken in der Gesundheitspolitik statt. An die Stelle einer ausgabenorientierten Einnahmenpolitik trat die ¹einnahmenorientierte Ausgabenpolitikª. Am 1. Juli 1977 traten das ¹Krankenversicherungs-KostendaÈmpfungsgesetzª (KVKG) und am 1. Januar 1982 das ¹KostendaÈmpfungs-ErgaÈnzungsgesetzª (KVEG) in Kraft. Mit Hilfe dieser Gesetze sollte der fuÈr die GKV bedrohlichen Entwicklung der Finanzlage Einhalt geboten werden; insbesondere sollte durch ein preisbewuûteres Verhalten von Ørzten und Patienten die weitere Zunahme der Gesundheitsausgaben der GKV gebremst werden. Maûnahmen Das KVKG sieht halbjaÈhrliche Plenarsitzungen einer Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (KAiG) vor. Die der gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Konzertierten Aktion des § 3 StabilitaÈtsgesetz vom 8. Juni 1967 nachempfundene Einrichtung wurde mit der Rolle bedacht, unter BeruÈcksichtigung einer ¹bedarfsgerechten Versorgung und einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen medizinische und wirtschaftliche Orientierungsdaten sowie VorschlaÈge zur ErhoÈhung der LeistungsfaÈhigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesenª zu erarbeiten. Diesem Gremium, dessen gesetzliche Basis sich heute in den §§ 141, 142 SGB V findet, ist dem Grundsatz einer einnahmenorientierten Ausgabenpolitik verpflichtet. Bei der KAiG handelt es sich um einen Versuch der Globalsteuerung von volkswirtschaftlich bedeutsamen Aggregaten: Einnahmenentwicklung und Ausgabenentwicklung der GKV (Deutscher Bundestag 1990). Auf der 11 Erste KostendaÈmpfungsversuche Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Versuch der Globalsteuerung 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt ArzneimittelhoÈchstbetrag Transparenzliste Suchen Treffer Hilfe Grundlage eines durch die Politik vorgegebenen Paradigmas, der einnahmeorientierten Ausgabepolitik, soll die Konzertierte Aktion eine Verhaltensabstimmung der beteiligten Gruppen herbeifuÈhren und so die Diskrepanz zwischen individueller und kollektiver RationalitaÈt im Gesundheitswesen beseitigen helfen. Konkret sollen AusgabenspielraÈume ausgelotet, begrenzt und auf die einzelnen Bereiche des Gesundheitswesens verteilt werden (vgl. Gitter u. Oberender 1987). Die KAiG besitzt somit eine allokative Funktion, indem sie Empfehlungen fuÈr die Ausgabenstruktur sowie fuÈr die absolute HoÈhe der Gesundheitsausgaben abgeben soll. Daneben hat sie aber auch eine distributive Aufgabe, indem sie ¹eine ausgewogene Verteilung der Belastungenª (§ 141 Abs. 1 SGB V) herzustellen hat. Im Wege einer freiwilligen Verhaltensabstimmung soll die Kostenentwicklung, die maûgeblich auch auf den ungebremsten Verteilungskampf zwischen den Partikularinteressen der einzelnen Leistungserbringer zuruÈckzufuÈhren ist, gesteuert werden. Unter anderem ist laut Gesetzestext auch vorgesehen, gemeinsam einen ArzneimittelhoÈchstbetrag fuÈr die GKV festzulegen. Geschieht dies nicht, so sollen die Spitzenorganisationen der KassenaÈrzte und der Krankenkassen eine solche Empfehlung abgeben. Bei der Festlegung des HoÈchstbetrags sind die durchschnittliche Grundlohnsumme der beteiligten Krankenkassen, die Entwicklung der Arzneimittelpreise und die Zahl der BehandlungsfaÈlle zu beruÈcksichtigen. Daneben verlangt das KVKG die Erstellung von Transparenz- und Preisvergleichslisten fuÈr Arzneimittel. Mit Hilfe von Transparenzlisten der Transparenzkommission ¹Arzneimittelª beim Bundesgesundheitsamt sowie durch die Preisvergleichsliste des Bundesausschusses der Ørzte 12 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer und Krankenkassen soll die Preistransparenz bei Arzneimitteln fuÈr die Ørzte erhoÈht werden. Durch Preisinformationen sollten die Ørzte zu einem unter Kostengesichtspunkten effizienteren Verschreibungsverhalten bewegt werden. Die Preisvergleichsliste enthaÈlt ± von wenigen Ausnahmen abgesehen ± nur MonopraÈparate. Sie sollte zu einer verbindlichen Informationsquelle fuÈr Ørzte werden. Bei der Erstellung dieser Liste galt es, gravierende methodische Hindernisse zu uÈberwinden. So muûten moÈglichst allgemeinguÈltige Kennzahlen fuÈr eine rationelle Arzneimitteltherapie gefunden werden. GeloÈst wurde dieses methodische Problem mit der Definition einer durchschnittlichen mittleren Tagesdosis. DaruÈber hinaus wurden KombinationspraÈparate benachteiligt, da nur MonopraÈparate erfaût und empfohlen werden. KombinationspraÈparate gelten ± faÈlschlicherweise ± nach wie vor als unwirtschaftlich und tauchen daher in groûem Umfang auf der spaÈter eingefuÈhrten Negativliste auf. Die Transparenzliste enthaÈlt neben den Preisen auch Informationen uÈber therapeutische, pharmakologische und pharmazeutische Merkmale der Arzneimittel. Ergebnisse und Bewertung Die Wirksamkeit der KAiG war bereits von Anfang an eingeschraÈnkt. Wegen der Unverbindlichkeit der KAiGVorschlaÈge entstand bei den Adressaten ein Verantwortungsvakuum; sie fuÈhlten sich in ihrem Handeln nicht an diese Empfehlungen gebunden. In den bilateralen Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Leistungsanbietern gelang es den Vertragspartnern bisher immer, eigene Verbandsinteressen unabhaÈngig von den BeschluÈssen der KAiG zu verfolgen und durchzusetzen. 13 Preisvergleichsliste 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Grundlegender Wandel ist ausgeblieben Suchen Treffer Hilfe Da die eigentlichen Ursache der von allen Seiten konstatierten Probleme des Gesundheitswesen aber nicht aus der dezentralen Planerstellung der Individuen, sondern vielmehr aus den SchwaÈchen der zu ihrer Koordinierung vorgesehenen Regulierungen und Instanzen resultiert, hat die Konzertierte Aktion bis heute nicht einen grundlegenden Wandel der Situation herbeifuÈhren koÈnnen, eher hat sie den Blick auf die wirklichen Ursachen weiter verstellt. Daneben stellt eine derartige Instanz in einer freiheitlich demokratischen Ordnung eine hoÈchst fragwuÈrdige Einrichtung dar: Entscheidungsbefugnisse werden demokratisch nur unzureichend legitimierten VerbandsfunktionaÈren zugeordnet, deren BeschluÈsse letztlich jeden einzelnen Zwangsversicherten treffen. Folglich ist weder das SubsidiaritaÈtsprinzip gewahrt noch sind die Maûnahmen grundsaÈtzlich ordnungskonform (Gitter u. Oberender 1987 S. 28). Durch den ArzneimittelhoÈchstbetrag sollte eine Parallelentwicklung von Einkommen und Gesundheitsausgaben festgeschrieben werden, d. h., es sollte das Wachstum des Gesundheitswesens in Gleichklang mit der Einkommensentwicklung gebracht werden. Die zu erwartende Verbrauchsentwicklung bei Arzneimitteln sah jedoch anders aus. Die demographische Entwicklung, die VeraÈnderung des MorbiditaÈtsspektrums und Verbesserungen der medikamentoÈsen Therapie selbst lieûen eher eine Zunahme des Arzneimittelkonsums erwarten, die uÈber einem erzwungenen paritaÈtischen Anstieg von durchschnittlicher Grundlohnsumme und Arzneimittelausgaben liegt. Unwirtschaftlichkeit waÈre die Konsequenz einer strikten Durchsetzung dieser Form der Budgetierung gewesen, wenn eine medikamentoÈse Therapie durch eine teurere operative Therapie oder eine verzoÈgerte und schlieûlich 14 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer teurere medikamentoÈse Behandlungen substituiert werden muû. Wie die weitere Ausgabenentwicklung zeigt, hat sich dieses Instrument jedoch nicht bewaÈhrt, so daû sich in der RealitaÈt sehr wohl StrukturveraÈnderungen ergaben. Die ebenfalls vorgesehenen Transparenz- und Preisvergleichslisten fanden nur sehr zoÈgernd Eingang in die aÈrztliche Verschreibungspraxis. Als Steuerungsinstrumente vermochten es weder Preisvergleichs- noch Transparenzliste, wesentlichen Einfluû auf die Verschreibung von Arzneimitteln zu nehmen. Es zeigte sich, daû ohne pekuniaÈre Anreize ein Preis- und Kostenbewuûtsein auf Seiten der Nachfrage (Ørzte, Patienten) nicht erzeugt werden kann. Die spaÈter im Rahmen des KostendaÈmpfungs-ErgaÈnzungsgesetzes (KVEG), des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) und des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) ergriffenen, wesentlich schaÈrferen Maûnahmen uÈber das Arzneimittelbudget belegen diese These. Im Rahmen des KVEG reagierte der Gesetzgeber auf diesen Mangel an Steuerungskraft allerdings nicht mit einem verstaÈrkten Einsatz pekuniaÈrer Anreize, sondern mit einem Verbot der Kostenerstattung durch die GKV. Die Kosten sog. Bagatellarzneimittel zur Behandlung ¹geringfuÈgigerª GesundheitsstoÈrungen wurden ab sofort nicht mehr oder nur noch in begruÈndeten AusnahmefaÈllen von der GKV erstattet (§ 34 SGB V). Die im Sommer 1982 vom Bundesarbeitsministerium vorgelegte Negativliste, die am 1. April 1983 in Kraft trat, umfaût gegenwaÈrtig ca. 2500 PraÈparate der Arzneimittelgruppen ¹Medikamente gegen ErkaÈltungskrankheiten und grippale Infekte, Mund- und Rachentherapeutika, AbfuÈhrmittel sowie Arzneimittel gegen Reisekrankheitenª. Hierbei handelt es sich um solche Indikationsbereiche, bei denen bereits traditionell ein hoher Selbstmedikationsanteil vorlag. 15 Folge: Negativliste fuÈr Bagatellmedikamente 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe Nachdem die von KVKG und KVEG erwarteten Wirkungen auf die Ausgabenentwicklung der Krankenkassen ausblieben, insofern auch nicht zielkonform waren, folgten weitere staatliche BeschraÈnkungen der individuellen Wahl- und Handlungsfreiheit und damit der SouveraÈnitaÈt aller Beteiligten des Gesundheitswesen. KostendaÈmpfung im Gesundheitswesen durch Gesetze und Verordnungen 1977 bis 1992 z Gesetz zur Da È mpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-KostendaÈmpfungsgesetz ± KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBI. I S. 1069) z Gesetz zur Erga È nzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendaÈmpfender Maûnahmen in der Krankenversicherung (KostendaÈmpfungsErgaÈnzungsgesetz ± KVEG) vom 22. Dezember 1981 (BGBI. I S. 1578) z Gesetz zur Ønderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der KrankenhaÈuser und zur Regelung der KrankenhauspflegesaÈtze (Krankenhaus-KostendaÈmpfungsgesetz ± KHKDG) vom 22. Dezember 1981 (BGBI. I S. 1568) z Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und BeschaÈftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBI. I S. 1857) z Gesetz u È ber Maûnahmen zur Entlastung der oÈffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie uÈber die VerlaÈngerung der Investitions16 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt z z z z z Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer hilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBI. I S. 1532) Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz ± KHNG) vom 20. Dezember 1984 (BGBI. I S. 1716) Verordnung zur Regelung der KrankenhauspflegesaÈtze (Bundespflegesatzverordnung ± BPfIV) vom 21. August 1985 (BGBI. I S. 1666) Gesetz zur Verbesserung der kassenaÈrztlichen Bedarfsplanung vom 19. Dezember 1986 (BGBI. I S. 2593) Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz ± GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBI. I S. 2477) Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzl. Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz. ± GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBI. I S. 2266) Gesundheitsreformgesetz Auch die in den Folgejahren weiter steigenden BeitragssaÈtze (1988 betrug der durchschnittliche Beitragssatz der GKV 12,9% des Bruttoeinkommens) sowie die permanente Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze vermochten es nicht, die Finanzierungsprobleme der GKV dauerhaft zu loÈsen. Die Defizite der GKV der Jahre 1984 bis 1988 addierten sich zu uÈber 8 Mrd. DM, so daû einschneidende Maûnahmen unabdingbar wurden. Mit Hilfe des am 20. Dezember 1988 verabschiedeten Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) wurde der Versuch 17 Weiterere gesetzliche Eingriffe noÈtig 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe unternommen, die unbefriedigende Situation der GKV grundlegend zu verbessern. Daneben wurde das gesamte Recht der Krankenversicherung neu kodifiziert und mit Ausnahme der Leistungsbereiche ¹sonstige Hilfenª und der Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, die ihre Rechtsgrundlage auch nach dem 31. Dezember 1988 in der Reichsversicherungsordnung haben, als FuÈnftes Buch in das Sozialgesetzbuch eingefuÈgt (Art. 1 GRG). Die GrundsaÈtze des GRG Reduktion des aÈrztlichen Leistungskataloges Zielvorstellungen und Maûnahmen Im Zentrum des GRG standen die drei GrundsaÈtze (§§ 70 ff. SGB V): z BeitragssatzstabilitaÈt z Sicherung einer notwendigen medizinischen Versorgung z angemessene Vergu È tung aÈrztlicher Leistungen. Die politische PrioritaÈt lag auf der BeitragssatzstabilitaÈt. Da es sich bei den vorgestellten GrundsaÈtzen um konfligierende Zielvorstellungen handelt, konnte diese PrioritaÈtssetzung nicht ohne Konsequenzen fuÈr die ¹notwendigeª medizinische Versorgung sowie fuÈr die ¹angemesseneª VerguÈtung der aÈrztlichen Leistung bleiben. Entweder muûte, sollte BeitragssatzstabilitaÈt erreicht werden, der Leistungsumfang der GKV betraÈchtlich reduziert werden und/oder es muûten die aÈrztlichen Honorare merklich beschnitten werden. Das GRG ist mit einer Reihe von Instrumenten ausgestattet worden, die primaÈr auf eine Reduktion des Leistungskataloges und eine EinschraÈnkung der Diagnosehoheit des Arztes hinauslaufen. Das Sachleistungsprinzip wurde grundsaÈtzlich festgeschrieben, damit war eine Kostenerstattung nur ausnahmsweise moÈglich. Bei der zahn18 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer medizinischen Versorgung sind hingegen Zuzahlungsregelungen in Verbindung mit einer StaÈrkung der Individualprophylaxe vom Gesetzgeber aufgenommen worden. Zur Zielerreichung der BeitragssatzstabilitaÈt wurden hauptsaÈchlich Maûnahmen im Bereich der Arzneimittel eingefuÈhrt. So wurde die Erstellung einer sog. Negativliste gesetzlich vorgeschrieben, die alle Medikamente enthalten sollte, die Ørzte nicht mehr zu Lasten der GKV verschreiben duÈrfen. In eine solche Negativliste sollten nach § 34 Abs. 3 Satz 2 SGB V i. d. F. des GRG insbesondere Arzneimittel aufgenommen werden, z ¹die fu È r das Therapieziel oder zur Minderung von Risiken nicht erforderliche Bestandteile enthalten; oder z deren Wirkungen wegen der Vielzahl der enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden koÈnnen; oder z deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist.ª Objektive Kriterien fuÈr die Festlegung der auszugrenzenden PraÈparate existieren jedoch nicht und konnten von daher auch nicht gesetzlich kodifiziert werden, infolgedessen bestehen groûe ErmessensspielraÈume der Verantwortlichen. Neben diesen Arzneimitteln, die aufgrund ihrer Wirkstoffzusammensetzung von einer Erstattung ausgeschlossen wurden, wurden auch die medikamentoÈsen Therapien ganzer Indikationgebiete aus der Erstattungspflicht genommen (§ 34 SGB V). Hiervon betroffen sind die sog. Bagatellarzneien. Ferner wurde eine Festbetragsregelung eingefuÈhrt, mit der ebenfalls betraÈchtliche Einsparungen bei der Arzneimittelversorgung erzielt werden sollten. Die Festbetrags19 Negativliste gesetzlich verankert Bagatellarznei FestbetraÈge fuÈr Arznei 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Vorgabe von RichtgroÈûen Suchen Treffer Hilfe regelung sollte zugleich die als zu gering erachtete WettbewerbsintensitaÈt auf dem Pharmamarkt spuÈrbar erhoÈhen (§ 35 Abs. 5 Satz 1 SGB V). Bei FestbetraÈgen handelt es sich um eine besondere Form der Selbstbeteiligung, bei der fuÈr bestimmte GKV-Leistungen HoÈchstbetraÈge der Erstattung festgelegt werden. Bezieht der Patient Leistungen, deren Preis oberhalb des Festbetrages liegt, so muû er den uÈberschieûenden Betrag selbst zahlen; liegt der Preis darunter, uÈbernimmt die Krankenkasse die gesamten Kosten. Nach § 35 SGB V hat der Bundesausschuû der Ørzte und Krankenkassen in Richtlinien vorzugeben, fuÈr welche Arzneimittelgruppen FestbetraÈge festzusetzen sind. Diese Arzneimittelgruppen bestehen jeweils aus Arzneimitteln, die gegeneinander ohne TherapiebeeintraÈchtigung austauschbar sein sollen, eine Forderung, die nach Auffassung des wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer nicht zu erfuÈllen ist (Bundesapothekenkammer 1988 S. 2099). Die aus Preissenkungsprozessen resultierenden Umsatzeinbuûen werden die Hersteller uÈber Mengenausweitungen zu kompensieren versuchen. Auch eine moÈgliche Substitution von Arzneimitteln der Negativliste mit solchen, die dort nicht enthalten sind, mit dem Ziel, dem Patienten eine Zuzahlung zu ersparen, scheint der Gesetzgeber erahnt zu haben. Daher sieht er bereits im GRG Maûnahmen vor, die das Verschreibungsverhalten der Ørzte im Sinne einer umfassenden Senkung der Arzneimittelausgaben beeinflussen sollen. So sollen nach § 84 SGB V i. d. F. des GRG zwischen den Partnern der GesamtvertraÈge, also den Krankenkassen und den KassenaÈrztlichen Vereinigungen, RichtgroÈûen vereinbart werden. Diese stellen arztgruppen- und patientengruppenspezifi20 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer sche Vorgaben fuÈr eine mengenmaÈûig zuruÈckhaltende aÈrztliche Verschreibungspraxis dar. Das Verschreibungsvolumen wird zwar nicht fuÈr jeden Arzt individuell festgelegt, dennoch besteht die MoÈglichkeit der WirtschaftlichkeitspruÈfung nach § 106 Abs. 2 Nr. 2 SGB V i. d. F. des GRG bei RichtgroÈûenuÈberschreitungen. Die RichtgroÈûen sollen Ørzte nicht nur veranlassen, sich auf die Verordnung von FestbetragspraÈparaten zu konzentrieren, sondern auch durch eine reduzierte Verschreibungsmenge Einsparpotentiale zu erschlieûen. RichtgroÈûen stellen daher ein zentrales Instrument zur UnterstuÈtzung der Ziele des Festbetragskonzepts dar (Vogelbruch 1992 S. 27). Die VerordnungsgebuÈhr fuÈr Arzneimittel, fuÈr die kein Festbetrag besteht, wurde von 2 auf 3 DM je Packung erhoÈht. Daû bei einer solchen wertunabhaÈngigen Zuzahlung immanent die Gefahr besteht, daû Patienten versuchen, eine moÈglichst groûe und teure Packung verordnet zu bekommen, hat der Gesetzgeber erkannt. Ab dem 1. Januar 1992 sollte daher fuÈr alle Arzneimittel, fuÈr die bis zu diesem Zeitpunkt kein Festbetrag festgelegt werden konnte, eine Selbstbeteiligung von 15% des Preises, maximal 15 DM, gelten. Die wertabhaÈngige prozentuale Zuzahlung, die immer in gesundheitsoÈkonomischen und ordnungspolitischen Diskussionen um eine Neuorientierung des Gesundheitswesens gefordert worden war (Selke 1992), haÈtte den Vorzug gehabt, alle Arzneimittel des Nichtfestbetragsmarktes relativ gleich zu behandeln. Neben der gesetzlichen Verankerung verschiedenster KostendaÈmpfungsmaûnahmen wurden aber auch neue Leistungskomplexe aufgenommen, so auch die ambulante haÈusliche Pflege. Ab dem 1. Januar 1989 wurde langjaÈhrig Versicherten ein Anspruch auf eine maximal vierwoÈchige professionelle pflegerische Versorgung (Urlaubspflege) zu21 ErhoÈhte Zuzahlung Neue Leistungskomplexe 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe erkannt. Voraussetzung hierfuÈr ist, daû bereits mindestens zwoÈlf Monate lang SchwerpflegebeduÈrftigkeit besteht. Ab dem 1. Januar 1991 wurde den Versicherten ein Anspruch auf Dauerpflege (25 PflegeeinsaÈtze pro Monat mit Maximalkosten in HoÈhe von 750 DM je Versicherungsfall) eingeraÈumt. DaruÈber hinaus beinhaltet das Gesetz Ønderungen in der Abgrenzung des versicherten Personenkreises, wie z. B. die Gleichstellung von Angestellten und Arbeitern durch Wegfall der Versicherungspflicht fuÈr Arbeiter mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Substitution Wettbewerb wurde reduziert Bewertung Die EinfuÈhrung der Negativliste hat dazu gefuÈhrt, daû Ørzte, denen es aufgrund des mit der zunehmenden Ørztedichte verbundenen haÈrter werdenden Wettbewerbs immer schwerer faÈllt, PatientenwuÈnsche nach der Verschreibung von Medikamenten zuruÈckzuweisen, sich ¹gezwungenª sahen, teure, dafuÈr aber als wirksam erachtete Arzneimittel, die nicht Bestandteil der Negativliste sind, zu verschreiben. Das Auftreten derartiger SubstitutionsvorgaÈnge macht klar, daû es sich bei ¹Unwirtschaftlichkeitª, dem Attribut, mit dem die PraÈparate der Negativliste abqualifiziert werden sollen, um ein Kriterium handelt, das sich nicht allein aus der isolierten Bewertung eines Medikamentes ergibt. Erforderlich sind vielmehr Ziel-Mittel-Betrachtungen. FestbetraÈge stellen zwar rechtlich keine HoÈchstpreise dar, denn nach wie vor ist es den Arzneimittelherstellern moÈglich, eigene Preisvorstellungen zu aÈuûern und auch Preise autonom festzusetzen, faktisch sind aber die meisten Unternehmen gezwungen, die Preise ihrer PraÈparate 22 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer am Festbetrag zu orientieren. Hersteller von Generika, deren Preise unterhalb des einzufuÈhrenden Festbetrags liegen und deren vornehmliches Verkaufsargument bisher der niedrige Preis war, werden vermutlich ihre Preise langfristig in Richtung des Festbetrags erhoÈhen. Das Ergebnis der Festbetragsregelung ist also keine Intensivierung des Wettbewerbs bezuÈglich des Aktionsparameters Preis, sondern vielmehr dessen Reduzierung. Aus der Festbetragsregelung resultiert fuÈr die Patienten der Anreiz, Leistungen nachzufragen, deren Preise im zuzahlungsfreien Bereich liegen. Die Festbetragsregelung hat zwar einen Trend zu billigeren Medikamenten, genauer: zu Arzneimitteln zum Festbetrag, ausgeloÈst, kann aber keineswegs das Mengenproblem loÈsen. Da zudem die nach § 84 SGB V i. d. F. des GRG vorgesehene EinfuÈhrung von RichtgroÈûen nicht erfolgte, trug das GRG auch nicht zu einer EinschraÈnkung der verordneten Arzneimittelmenge bei. Ordnungspolitisch ist zu beanstanden, daû die FestbetraÈge von den SpitzenverbaÈnden der Krankenkassen und Ørzte zentral festgelegt werden und so einem an die pharmazeutische Industrie gerichteten Preisdiktat in der Wirkung nahe kommen. Neben groûen SpielraÈumen bei der Einordnung von Medikamenten in Festbetragsgruppen bestehen erhebliche Differenzen zwischen Krankenkassen und Herstellern aufgrund zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe. FuÈr die Patienten wurde durch die EinfuÈhrung des Festbetragskonzepts eine vollwertige Versorgung ohne jede Zuzahlung verankert. Aus wahltaktischen GruÈnden eine sicherlich verstaÈndliche Zielvorstellung, die aber mit dem grundsaÈtzlichen Reformziel einer erhoÈhten Eigenverantwortung nichts mehr gemein hat. Aus der Regelung 23 ¹Preisdiktatª fuÈr Medikamente Wahltaktische Ûberlegungen 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Pflegekonzept hat mehrfach versagt Nur kurzfristige Refomziele erreicht Suchen Treffer Hilfe resultierte daher auch nur ein kurzfristiger Preissenkungseffekt, wogegen eine effizientere DurchfuÈhrung medikamentoÈser Therapien, bezogen auf die Gesamtkosten und nicht nur auf den Packungspreis, nicht erzielt werden konnte. Das Pflegekonzept des GRG muû als gescheitert angesehen werden, da es an den BeduÈrfnissen der Betroffenen vorbei zielt. So hat das Bundesarbeitsministerium fuÈr das Jahr 1992 hierfuÈr zwar 6,4 Mrd. DM eingeplant, in Anspruch genommen wurden jedoch nur 1,2 bis 1,3 Mrd. DM. Die GruÈnde fuÈr diese Nichtbeanspruchung sind vielfaÈltig: Ein groûer Teil der PflegebeduÈrftigen kann die Leistung gar nicht in Anspruch nehmen, weil der Gesetzgeber lange Vorversicherungszeiten zur Bedingung gemacht hat. Die SchwerpflegebeduÈrftigkeit wurde vom Bundesausschuû Ørzte/Krankenkassen unter medizinischen Gesichtspunkten sehr restriktiv definiert, vor allem mit dem Ziel, eine moÈgliche Ûberinanspruchnahme von vornherein auszuschlieûen. DaruÈber hinaus muû die SchwerpflegebeduÈrftigkeit vorab vom Hausarzt und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen in einem komplizierten und zeitraubenden Antragsverfahren bescheinigt werden. Es hat sich herausgestellt, daû die Anspruchsberechtigten Geldleistungen Sachleistungen vorziehen, was aber nur in wertmaÈûig geringerem Umfang moÈglich war. Nahezu alle Kernziele des GRG wurden verfehlt (Tabelle 1). Erreicht wurden zwar jene Sparziele, die durch Leistungsabbau (Sterbegeld und Selbstbeteiligung der Patienten, z. B. Zahnersatz) bewirkt werden sollten, hingegen wurden die auf strukturelle Wirkungen ausgerichteten KostendaÈmpfungsziele voÈllig verfehlt. Besonders eklatant sind die Defizite zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Struktureffekten durch eine hoÈhere Transpa24 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Tabelle 1: BluÈms Reform: Wunsch und Wirklichkeit. (Ørzte-Zeitung) Einsparungen durch FestbetraÈge Struktureffekt durch Transparenz Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus Neue Leistungen, haÈusliche Pflege Beitragssatz Defizit Ziel 1992 1 400 Mio. DM 2 000 Mio. DM 1 570 Mio. DM 6 400 Mio. DM 12,6% 0 Mio. DM Erreicht 1992 600 Mio. DM 0 Mio. DM 0 Mio. DM 1 250 Mio. DM 12,7% uÈber 10 000 Mio. DM renz des Arzneimittelmarktes fuÈr die Ørzte sowie bei der Festbetragsregelung. Es muû darauf hingewiesen werden, daû im GRG die KostendaÈmpfung und nicht das Ziel einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt stand. Die im GRG enthaltenen kostendaÈmpfenden Maûnahmen konzentrieren sich auûerdem auf wenige Gesundheitsbereiche, vor allem auf die Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie auf zahnaÈrztliche Leistungen. Keine BeruÈcksichtigung fanden im Rahmen des GRG wie zum Teil bereits erwaÈhnt der Krankenhausbereich, die ambulante Versorgung sowie die zukuÈnftigen Herausforderungen, auf die im folgenden noch eingegangen wird. Zusammenfassend kann das GRG nur als punktuell ansetzende Symptomtherapie bezeichnet werden, bei der die kostentreibenden Strukturen im wesentlichen unbehandelt blieben. Es traten zwar kurzfristige Spareffekte (¹BluÈm-Delleª) als Folge der Vorwegnahme von Leistungen im zahnaÈrztlichen Bereich im Jahre 1988 (¹BluÈmBauchª) ein, die eigentlich kostenverursachenden Strukturen blieben hiervon aber unberuÈhrt. Die Behauptung, wonach die erzielten Einsparungen als Zeichen eines Um25 GRG leitete keinen Umbruch ein 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe bruchs oder als Beginn eines anhaltenden strukturellen Abschmelzungsprozesses der Gesundheitsausgaben zu deuten seien, mag zwar wahltaktisch verstaÈndlich sein, erwies sich aber sehr bald schon als unhaltbar. Ordnungspolitisch stellt das GRG das Ergebnis planwirtschaftlichen und dirigistischen Denkens zentralverwaltungswirtschaftlicher Provenienz dar. Es geht von einem kollektivistischen Menschenbild aus, das beherrscht wird vom Glauben der Planbarkeit und der Illusion der Machbarkeit. Der einzelne BuÈrger, ob Patient oder Leistungserbringer, wird zunehmend entrechtlicht und bevormundet. Versuch einer umfassenderen Gesundheitsreform Gesundheitsstrukturgesetz Die nach Inkrafttreten des GRG sich abzeichnende Erholung auf der Ausgabenseite, 1989 ergab sich ein Ûberschuû der Einnahmen uÈber die Ausgaben in HoÈhe von fast 10 Mrd. DM, hielt nur kurzzeitig an. Bereits 1990 stiegen die Ausgaben wieder staÈrker als die Einnahmen. Der Ûberschuû verringerte sich 1990 auf 6 Mrd. DM, 1991 ergab sich wieder ein Defizit. Aufgrund des Defizits des Jahres 1992 in HoÈhe von fast 9 Mrd. DM (Bundesarbeitsblatt 1993) und der Gefahr steigender BeitragssaÈtze sah sich die Bundesregierung zum Handeln gezwungen. Steigende BeitragssaÈtze in der gesetzlichen Krankenversicherung bedeuten nicht nur eine hoÈhere Belastung der Lohneinkommen und hemmen damit die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer, sondern zugleich nehmen die Lohnnebenkosten fuÈr die Arbeitgeber zu, was die BeschaÈftigungschancen negativ beeinfluût. Die WettbewerbsfaÈhigkeit des Industriestandortes Deutschland geriet in Gefahr. 26 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Maûnahmen und Ziele Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) wurde in einer Rekordzeit von vier Wochen zum 21. Dezember 1992 verabschiedet. Insgesamt sollte mit dessen Hilfe eine Entlastung der Ausgabenseite der GKV von uÈber 10 Mrd. DM erzielt werden (s. Tabelle 1). Das Gesetz folgt in seinen wesentlichen ZuÈgen dem Grundgedanken von der totalen Budgetierung aller Leistungsbereiche und der Verwaltungsausgaben. Die Budgets stellen Obergrenzen dar, Steigerungen sollen nur noch im Rahmen der Steigerung der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder zulaÈssig sein, d. h. es wird eine Bindung an die Grundlohnsumme implementiert. Besondere Schwerpunkte im Rahmen des GSG bilden der Krankenhausbereich, die ambulante aÈrztliche und zahnaÈrztliche Versorgung, die Organisationsreform der GKV und wiederum die Versorgung mit Arzneimitteln. Die einschneidendsten VeraÈnderungen der Krankenkassenlandschaft rief die Organisationsreform der GKV hervor (s. a. Kapitel 15.01). Die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Wahl ihrer Krankenkasse sowie die berufsbezogenen Gliederungskriterien der GKV haben zu in betraÈchtlichem Umfang divergierenden Risikostrukturen, RisikoselektionsmoÈglichkeiten und BeitragssaÈtzen gefuÈhrt. Die Regelungen des § 173 SGB V i. d. F. des GSG sehen daher die grundsaÈtzlich freie Wahl einer Krankenkasse, deren ZustaÈndigkeit sich auf den BeschaÈftigungs- oder Wohnort erstrecken muû, erstmals ab 1. Januar 1997 vor. Mitglieder konnten erstmals am 1. Januar 1996 die Mitgliedschaft bei ihrer Krankenkasse, mit einjaÈhriger KuÈndigungsfrist, aufkuÈndigen und einer anderen Kasse beitreten, deren ZustaÈndigkeit sich auf ihren BeschaÈftigungs- oder Wohnort erstrecken muû. Die Kran27 Budgets legen Obergrenzen fest GrundsaÈtzlich freie Wahl der Krankenkassen 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Risikostrukturausgleich KrankenhaÈuser: Gesamtbudget statt Selbstkostendeckung Suchen Treffer Hilfe kenkassen unterliegen einem Kontrahierungszwang, d. h., sie sind dazu verpflichtet, beitrittswillige Personen in ihren Versichertenkreis aufzunehmen. Zugleich duÈrfen sie diese nicht diskriminieren (Diskriminierungsverbot). Mit dem Ziel, Wettbewerbsverzerrungen zu neutralisieren, wurde vorgesehen, bereits ab 1. Januar 1994 in der allgemeinen Krankenversicherung und ab 1. Januar 1995 unter Einbeziehung der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) einen permanenten, bundesweiten und kassenartenuÈbergreifenden Risikostrukturausgleich zu implementieren, der Unterschiede in den beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohn), in der Zahl der kostenfrei mitversicherten FamilienangehoÈrigen (Familienlast), alters- und geschlechtsbedingte Risikofaktoren sowie InvaliditaÈt ausgleichen soll. Einnahmen- und Ausgabenunterschiede, die nicht auf den in den Risikostrukturausgleich einbezogenen Faktoren beruhen, duÈrfen nicht ausgeglichen werden. Weitere bestehende Wettbewerbsungleichheiten sollten durch eine Vereinheitlichung des bisher noch unterschiedlichen Vertragsrechts von Ersatz- und PrimaÈrkassen erreicht werden, so daû die Sonderstellung der Ersatzkassen entfaÈllt. Das GSG sah weiterhin vor die duale Finanzierung der KrankenhaÈuser, bei der die Investitionskosten von der oÈffentlichen Hand (§ 2 Abs. 2 KHG), die Betriebskosten hingegen durch tagesgleiche PflegesaÈtze der Krankenkassen finanziert wurden, schrittweise durch eine Finanzierung rein uÈber Fallpauschalen, Sonderentgelte und differenzierte PflegesaÈtze abzuloÈsen. Zum 1. Januar 1993 wurde das Selbstkostendeckungsprinzip in Form der begleitenden prospektiven Budgetierung auf der Basis tagesgleicher PflegesaÈtze, das wesentlich zu unwirtschaftlichen Verhaltensweisen im Krankenhausbereich beigetragen hat, 28 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer durch Gesamtbudgets abgeloÈst. Das Selbstkostendekkungsprinzip war eine Konsequenz der staatlichen Angebotsplanung durch selektive InvestitionsfoÈrderung im Krankenhaussektor, die die Art der Betriebskosten weitgehend fremdbestimmt hat. Neben der VeraÈnderung der VerguÈtungsform greifen erleichterte KuÈndigungsmoÈglichkeiten seitens der Krankenkassen in den FaÈllen, in denen das Krankenhaus nicht mehr den Erfordernissen einer bedarfsgerechten, leistungsfaÈhigen und zugleich wirtschaftlichen Behandlung der Versicherten genuÈgt. Diese grundsaÈtzliche Abkehr von dem bisher vorwiegend angewendeten dirigistischen Instrumentarium wird allerdings konterkariert durch eindeutig dirigistische Vorschriften, zu denen die Pflegepersonalverordnung und auch die weiter ausgebaute GroûgeraÈteplanung gezaÈhlt werden muÈssen (vgl. Neubauer 1993 S. 83). Durch eine bessere Verzahnung von ambulanter und stationaÈrer Versorgung plante der Gesetzgeber mit dem GSG sowohl ambulante Operationen in der Arztpraxis als auch im Krankenhaus zu foÈrdern. Bei vielen Operationen koÈnnen Kosten eingespart werden, wenn nicht ¹automatischª in jedem Fall die gesamte stationaÈre Pflegeinfrastruktur beansprucht wird. Auch im Bereich der aÈrztlichen und zahnaÈrztlichen Versorgung wurde fuÈr die Jahre 1993 bis 1995 ein grundlohngebundenes Honorarbudget vorgeschrieben, das, erhoÈht um die Steigerungsraten der Grundlohnsumme, auf dem Gesamthonorar des Jahres 1991 basiert (§ 85 Abs. 3a bis 3 c SGB V). Dem mit der wachsenden Zahl der niedergelassenen Ørzte und ZahnaÈrzte verbundenen Anstieg der Leistungen und Verordnungen soll nach GSG durch eine Bedarfsplanung fuÈr die vertragsaÈrztliche und vertragszahnaÈrztliche Versorgung entgegengetreten werden 29 Weniger und mehr Dirigismus Ønderungen betreffend die aÈrztliche Praxis 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Arzneimittelbudget Suchen Treffer Hilfe (§§ 101, 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 SGB V i. d. F. des Art. 1 GSG) Ab 1. Januar 1999 sollte diese Regelung abgeloÈst werden durch die sog. verschaÈrfte Bedarfszulassung. Nach § 102 SGB V duÈrfen VertragsaÈrzte dann nur noch aufgrund gesetzlich festgelegter VerhaÈltniszahlen, die das VerhaÈltnis zwischen Haus- und FachaÈrzten festlegen, zugelassen werden. Daneben greift eine Altersgrenze von 68 Jahren fuÈr die Teilnahme an der vertragsaÈrztlichen Versorgung ab 1. Januar 1999 (§ 102 SGB V). Der Bereich der hausaÈrztlichen Versorgung wurde durch eine veraÈnderte Honorarverteilung, insbesondere zu Lasten der VerguÈtung des Laborbereichs, aufgewertet (§§ 87 Abs. 2 b, 85 Abs. 4 a SGB V). Im Rahmen des einheitlichen Bewertungsmaûstabs fuÈr aÈrztliche Leistungen werden ab 1995 viele Einzelleistungen zu Leistungskomplexen zusammengefaût. Auch die Ausgaben fuÈr Arzneimittel wurden budgetiert. Als Budget fuÈr das Jahr 1993 galten die Ausgaben des Jahres 1991, erhoÈht um den Anstieg der VertragsaÈrzte und bereinigt um die finanziellen Auswirkungen der Festbetragsregelung, die VeraÈnderungen der Arzneimittelpreise, die Effekte einer Neuregelung der Zuzahlungen und der Leistungspflicht der Krankenkassen (§ 84 SGB V). Ein Ûberschreiten des Budgets von 24 Mrd. DM ist mit finanziellen Einbuûen der Ørzteschaft verbunden. FuÈr die Deckung eines Defizits bis zu 280 Mio. DM haften die Ørzte, bei einer hoÈheren Ûberschreitung haftet zusaÈtzlich die pharmazeutische Industrie ebenfalls bis zu 280 Mio. DM. Eine Ausgleichsforderung gegenuÈber der Industrie wurde durch eine VerlaÈngerung des Preismoratoriums, das ebenfalls durch das GSG eingefuÈhrt wurde, geschaffen. Hierbei handelt es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene Preissenkung von festbetragsfreien Arzneimitteln. 30 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Nach Artikel 30 GSG war beabsichtigt, die Preise festbetragsfreier, verschreibungspflichtiger Medikamente ab 1. Januar 1993 um fuÈnf Prozent und die Preise fuÈr festbetragsfreie, aber zu Lasten der GKV verordnerbare, nicht verschreibungspflichtige PraÈparate, die der Apothekenpflicht unterliegen, um zwei Prozent zu senken und bis zum 31. Dezember 1994 im Preis unveraÈndert zu lassen. Ausgenommen von dieser Regelung sind PraÈparate, die gemaÈû der Negativliste nach § 34 Abs. 3 SGB V nicht zu Lasten der GKV verordnet werden koÈnnen. Nach § 84 Abs. 4 SGB V sollte das Budget fruÈhestens zum 1. Januar 1994 durch eine indikationsbezogene RichtgroÈûenvorgabe abgeloÈst werden. Hierbei war geplant, die im GRG vorgesehene EinfuÈhrung von arztgruppenspezifischen RichtgroÈûen fuÈr das Volumen verordneter Leistungen weiter zu differenzieren. Mit Hilfe von indikationsbezogenen RichtgroÈûen sollte die Verantwortung fuÈr eine sparsame Verordnung von Arzneimittel weg vom Kollektiv auf die Ebene des einzelnen Arztes verlagert werden. Dies ist aber in den meisten BundeslaÈndern nicht geschehen, so daû auch 1994 die Budgetregelung fortgefuÈhrt wird. Daneben sollte eine wirtschaftliche Verschreibungsweise von Arzneimitteln wieder durch die EinfuÈhrung einer Positivliste, die jene Medikamente enthaÈlt, die zu Lasten der GKV verordnet werden duÈrfen, gefoÈrdert werden (§ 34a i. V. m. § 92 a SGB V). Dieses Vorhaben wurde jedoch nicht realisiert und spielt erst wieder bei der ¹Gesundheitsreform 2000ª eine entscheidende Rolle. Mit dem GSG ist auch wiederum die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln (§ 31 SGB V) von der bisherigen RezeptgebuÈhr von 3 DM (die prozentuale Regelung des GRG war nie umgesetzt worden) auf eine gestaffelte Zuzahlung umgestellt worden. Ab 1. Januar 1993 betraÈgt die Zuzah31 RichtgroÈûenvorgabe Positivliste wurde nicht realisiert Selbstbeteiligung des Patienten 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe lung fuÈr Arzneimittel und Verbandsmittel pro Abgabeeinheit preisabhaÈngig 3, 5 oder 7 DM. Ab Januar 1994 wurde diese Staffelung auf die Referenzbasis PackungsgroÈûe bezogen. Durch diese Neuregelung der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln beabsichtigte der Gesetzgeber dem teilweise sehr schwer begruÈndbaren Mengenwachstum auf dem Arzneimittelbereich, insbesondere Wunschverordnungen entgegenzuwirken. Deutliche MaÈngel Krankenkassen konkurrieren nicht nur mit dem Preis WuÈrdigung der Maûnahmen Durch die EinfuÈhrung der Kassenartenwahlfreiheit sind erste zentrale reformpolitische Forderungen erfuÈllt worden. Dennoch sind die MaÈngel nicht zu uÈbersehen. Der Risikostrukturausgleichsfall wird uÈber die Gefahr des Wettbewerbsversagens legitimiert (vgl. Cassel 1993). Die Intention des Gesetzgebers lag in etwa darin, unterschiedliche Altersstruktur und Grundlohnsumme bei den Krankenkassen auszugleichen, da sich ansonsten eine hoÈhere Effizienz nicht mehr zwingend in den BeitragssaÈtzen widerspiegeln wuÈrde. Folglich koÈnnte eine unwirtschaftliche Kasse mit einer guÈnstigen Versichertenstruktur immer noch niedrigere BeitragssaÈtze ausweisen, als eine wirtschaftlich arbeitende, deren Mitgliedsstruktur sich vornehmlich aus geringverdienenden und aÈlteren Patienten zusammensetzt. Mit dieser Argumentation wird aber impliziert, daû der Preis eines Produktes, hier der Beitragssatz, der einzig entscheidende Parameter fuÈr den Leistungserbringer Krankenkasse ist, von groÈûerer Bedeutung ist jedoch das Preis-Leistungs-VerhaÈltnis. Zwar sind die Leistungskataloge der Krankenkassen weitgehend gesetzlich vorgeschrieben, dennoch besitzen Krankenkassen die MoÈglichkeit, uÈber die Satzung das gesetzlich vorgesehene Leistungs32 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer spektrum naÈher zu spezifizieren. Auch durch Standortwahl, BeratungsqualitaÈt, Kulanzregelungen oder durch den Aufbau eines besonderen Images entwickeln Krankenkassen ein akquisitorisches Potential. Ein Finanzausgleich, nichts anderes stellt der Risikostrukturausgleich dar, wirkt immer wettbewerbshemmend, in erster Linie dient dieses Instrument der Bestandssicherung bestimmter Krankenkassen. Die Auswahl der Risikofaktoren, die im Rahmen eines Risikostrukturausgleichs nivelliert werden sollen, entscheidet unmittelbar uÈber den Bestand einzelner Kassen oder Kassenarten. GeschuÈtzt werden also nicht die Interessen der GKV-Versicherten, sondern der Bestand bestimmter Kassen und Kassenarten. Daneben ist der Risikostrukturausgleich ressourcenverschlingend, vor allem mit Blick auf den erforderlichen Personaleinsatz, da zu erwarten ist, daû die Kassen mit aller Kraft versuchen werden, Ausgleichsverbindlichkeiten zu vermeiden und moÈglichst viel aus dem Risikostrukturausgleich zu erhalten. Dieser Ressourceneinsatz stellt aber die Versichertengemeinschaft insgesamt nicht besser (Neubauer 1988). Grundgedanke des Risikostrukturausgleichs war es, von daher erklaÈrt sich auch sein zeitlicher Vorlauf, Beitragssatzunterschiede auszugleichen, die sonst in der Wettbewerbssituation nach dem 1. Januar 1996 zu ungleichen Startchancen jener Kassen mit u. a. risikostrukturbedingt hoÈheren BeitragssaÈtzen gefuÈhrt haÈtten. Da es sich aber bei dem gesetzlich vorgeschriebenen Risikostrukturausgleich um ein permanentes Instrument handelt, ist die verabschiedete Regelung diesem Grundgedanken nicht gerecht geworden. Im Mittelpunkt der BemuÈhungen des Gesetzgebers standen anscheinend nicht die Interessen der Versicher33 Bestandsschutz fuÈr einzelne Kassen 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Sicherung der ArbeitsplaÈtze statt Interesse der Versicherten Entscheidungskriterium Beitragssatz Marktzu- und -austritt behindert Suchen Treffer Hilfe ten, sondern vielmehr die Konstruktion moÈglichst optimaler Bedingungen fuÈr den Fortbestand bestimmter Organisationen (Gesetzliche Krankenkassen) und der in ihnen bestehenden ArbeitsplaÈtze. Um zu einer Ordnung der GKV zu gelangen, die den BeduÈrfnissen der Versicherten gerechter wird, haÈtte es dieser bestandsschuÈtzenden Regulierung nicht bedurft. Es waÈre lediglich erforderlich gewesen, die Wahlfreiheit der Versicherten zu garantieren. Hierzu haÈtten die Bestimmungen uÈber die freie Kassenwahl sowie die gesetzliche Verankerung eines Kontrahierungszwanges und eines Diskriminierungsverbots ausgereicht. Mitgliederbewegungen haÈtten dann insoweit zu einer Angleichung der BeitragssaÈtze gefuÈhrt, als der Beitragssatz fuÈr das einzelne Mitglied das entscheidungsrelevante Mitgliedschaftskriterium ist. Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot eroÈffneten dann auch Mitgliedern von Kassen mit hohem Beitragssatz, die selbst eher schlechte Versicherungsrisiken darstellen, die MoÈglichkeit der Abwanderung. LaÈngerfristig waÈre sogar mit einer Angleichung der BeitragssaÈtze zu rechnen, waÈre der Beitragssatz das einzige Entscheidungskriterium fuÈr die Mitgliedschaft in einer bestimmten Krankenkasse. Dies ist aber eben nicht der Fall. Wettbewerbliche Prozesse sind immer mit ungleichen Marktlagen fuÈr die Wettbewerber verbunden. Die Aufgabe des Gesetzgebers liegt darin, gleiche rechtliche Rahmenbedingungen fuÈr die Wettbewerber zu schaffen sowie den Marktzutritt fuÈr neue Krankenversicherungsanbieter, aber auch den Marktaustritt von Krankenkassen, zu ermoÈglichen. Gerade letzteres geschah nicht. So sieht das GSG Erschwernisse bei der NeugruÈndung von Betriebsund Innungskrankenkassen und auch bei deren Schlieûung vor. Absicht des Gesetzgebers war es, Entsolidarisie34 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer rungsprozesse durch die NeugruÈndung von Betriebs- und Innungskrankenkassen zu vermeiden. Konzentrationsprozesse auf der Seite der Krankenkassen, erstaunlicherweise nicht kassenartenuÈbergreifend, wurden ausdruÈcklich gefoÈrdert. Den Landesregierungen wurde explizit das Recht zugestanden, Krankenkassen zwangsweise zu fusionieren; so fusionierten mittlerweile alle Allgemeinen Ortskrankenkassen in Landes-AOK um. Aber auch der erschwerte Marktaustritt bei nicht nachfragegerechtem Angebot der Krankenkassen foÈrdert konzentrative Tendenzen. Eine freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Prinzipien genuÈgende Ausgestaltung des Krankenkassenwettbewerbs in der GKV haÈtte den Kassen weitere Aktionsparameter auf Seiten des Leistungseinkaufs eroÈffnet. Dies hat der Gesetzgeber im Rahmen des GSG nicht vermocht. Auf die vom jeweiligen Honorierungssystem der Leistungsbereiche (Ørzte, KrankenhaÈuser, Medikamente) ausgehenden Anreize zur unwirtschaftlichen Leistungserbringung und zur Mengenausweitung reagierte der Gesetzgeber bisher (ArzneimittelhoÈchstbetrag des KVKG) und auch im Rahmen des GSG mit der Vorgabe von festen, an die Grundlohnentwicklung gebundenen Jahresbudgets, fuÈr deren Einhaltung die Leistungsanbieter haften. Neu war hingegen die vollstaÈndige Anbindung der Ausgabenentwicklung aller Leistungsbereiche an die Grundlohnentwicklung, wenn auch nur befristet bis einschlieûlich 1995. Die Anbindung an den Anstieg der Grundlohnsumme mag dem Anspruch der BeitragssatzstabilitaÈt genuÈgen, den BeduÈrfnissen der Versicherten wird mit einer solchen Anbindung aber kaum Rechnung getragen. In vielen LaÈndern haben empirische Untersuchungen gezeigt, daû, un35 Fusion statt Wettbewerb Bindung an Grundlohnentwicklung 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Zur konsequenten Budgetierung fehlt die Information Und wieder Vorzieheffekte Arzneimittelbereich Suchen Treffer Hilfe abhaÈngig von den politischen und sozialen VerhaÈltnissen, die Gesundheitsausgaben mit einem hoÈheren Prozentsatz als das Einkommen ansteigen. Wird eine Anbindung der Gesundheitsausgaben an die Grundlohnentwicklung staatlich verordnet, kann, jedenfalls sobald die moÈglichen Rationalisierungspotentiale erschoÈpft sind, nicht mehr von einer bedarfsgerechten Versorgung gesprochen werden. Die zentrale Planung und Steuerung des Gesundheitswesens uÈber eine konsequente Budgetierung ist daher verfehlt. Die UnmoÈglichkeit, alle erforderlichen Informationen in die Budgetierung einzubeziehen, da sie nicht zentral vorliegen, kann anhand der vernachlaÈssigten Substitutionsbeziehungen zwischen den Leistungsbereichen verdeutlicht werden. So werden beispielsweise Patienten, deren Behandlung das Budget der Ørzteschaft zu sehr strapazieren wuÈrde, soweit wie moÈglich in einen anderen Leistungsbereich verschoben. In KrankenhaÈusern werden Operationen zeitlich, soweit medizinisch vertretbar, aufgeschoben, so daû die Kosten in einem anderen Budgetzeitraum anfallen. Wie schon Jahre zuvor beim GRG waren auch beim GSG kurzfristige Einspareffekte zu verzeichnen, die aber den langfristigen Anstieg der Gesundheitsausgaben nicht beeintraÈchtigen konnten. So konnten beispielsweise bei den Arzneimitteln Vorzieheffekte beobachtet werden, die ebenfalls partiell der Intention des Gesetzgebers zuwiderliefen (Abb. 4). Die Budgetierungsnormen des GSG stellten daher lediglich SymptombekaÈmpfungen dar. Maûnahmen, die an den Ursachen ansetzen, sind kaum enthalten, sollen jedoch spaÈter folgen. Darauf laÈût auch die zeitliche Befristung der Budgetierungregelungen schlieûen. Einen besonderen Schwerpunkt innerhalb der Bestimmungen des GSG bildet der Arzneimittelbereich. Man 36 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Abb. 4: Vorzieheffekte durch EinfuÈhrung des Arzneimittelbudgets ab 1. Januar 1993 scheint sich von Regulierungen in diesem Feld besonders rasche Wirkungen zu versprechen, weil angenommen wird, daû hier die Verschwendung am groÈûten ist und deshalb am ehesten gespart werden kann. Das Preismoratorium stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit dar. Wie schon durch die EinfuÈhrung der Festbetragsregelung werden die pharmazeutischen Unternehmen zu Preissenkungen gezwungen, nun allerdings nicht mehr nur faktisch, sondern durch die strikte Vorgabe eines Absenkungsprozentsatzes. Besonderes problematisch erscheint die unsachgemaÈûe Ausgestaltung des Preismoratoriums, die dazu fuÈhrt, daû nicht nur der GKV-Bereich beruÈhrt wird, sondern auch Absenkungen im Bereich der Selbstmedikation vorgeschrieben worden sind. Die neuen Maûnahmen zur BeschraÈnkung des Zugangs zur vertragsaÈrztlichen bzw. vertragszahnaÈrztlichen Versorgung stellen einen weiteren Schritt weg von der Freiberuflichkeit der aÈrztlichen TaÈtigkeit dar. Standortentscheidungen kann ein niederlassungswilliger Arzt kaum noch selber treffen. So waren im September 1993, je nach 37 Niederlassungsfreiheit der Ørzte 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt GSG bekaÈmpft nur die Symptome Suchen Treffer Hilfe aÈrztlicher Fachrichtung, bereits zwischen 48% und 72% aller Zulassungsbezirke fuÈr weitere Niederlassungen gesperrt. Auch wenn diese Maûnahme kurzfristig von kostensenkenden Effekten begleitet sein mag, handelt es sich im wesentlichen um die BekaÈmpfung von Symptomen mit nicht absehbaren Konsequenzen fuÈr die ambulante aÈrztliche bzw. zahnaÈrztliche Versorgung der BevoÈlkerung. Es ist evident, daû eine zu einem eigentlich beliebigen Zeitpunkt ausgewaÈhlte Kennziffer nichts mit dem Bedarf an medizinischen Dienstleistungen der BevoÈlkerung einer Region gemein haben kann. Auf diese Weise ermittelte Werte sind hoÈchst zufaÈllig, systematisch nicht zu begruÈnden und somit voÈllig willkuÈrlich (Ballast 1993 S. 114). Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) ist ordnungspolitisch ambivalent. Zum einen enthaÈlt es sehr konstruktive AnsaÈtze, die mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung vereinbar sind. So sind die Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips und die projektierte, aber noch nicht realisierte Abschaffung der dualen Finanzierung der KrankenhaÈuser, die erhoÈhte Selbstbeteiligung der Patienten und die Kassenartenwahlfreiheit fuÈr die Versicherten wichtige Schritte auf dem richtigen Weg, da sie mit den Grundprinzipien einer sozialen Marktwirtschaft vereinbar sind. Die drastischen Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten, insbesondere die dirigistisch verfuÈgte Deckelung der GKV-Ausgaben in allen Leistungsbereichen stellt aber wiederum nur einen Versuch dar, die Symptome zu bekaÈmpfen. An den eigentlichen Ursachen wird nicht angesetzt. 38 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Neuordnungsgesetze Da auch das Gesundheitsstrukturgesetz nur ansatzweise zur LoÈsung der Ausgabenentwicklung beitrug (vgl. hierzu Abb. 5), versuchte der Gesetzgeber, mit dem Beitragsentlastungsgesetz (1996) und vor allem mit den beiden Neuordnungsgesetzen (1997) eine hoÈhere Effizienzorientierung im deutschen Gesundheitswesen zu erreichen. Zielsetzung und Maûnahmen Die GKV-Neuordnungsgesetze (NOG), die am 1. Juli 1997 in Kraft traten, sind ein Versuch, die Wirksamkeit des Wettbewerbs in der GKV zu erhoÈhen. Eine StaÈrkung des Wettbewerbs zwischen den Kassen sollte uÈber die Schaffung von Satzungsleistungen angestrebt werden (vgl. Art 1/15. Abschnitt 2. NOG), was aber in der politischen Diskussion zu umstritten war und nicht in die GesetzesrealitaÈt uÈberfuÈhrt wurde. Insbesondere mit der EinfuÈhrung von Modellvorhaben (§§ 63 ff. SGB V) und StrukturvertraÈgen (§ 73 a SGB V) sollten den Krankenkassen MoÈglichkeiten fuÈr effiziente Vertragsstrukturen gegeben werden. Jedoch unterliegen diese Regelungen einer zeitlichen Befristung und sind von der Zustimmung der KassenaÈrztlichen Vereinigung abhaÈngig. Ein besonderer Schwerpunkt der Neuordnungsgesetze galt der StaÈrkung der Eigenverantwortung der Versicherten. Insbesondere sollten diese bei Beitragssatzsteigerungen der Krankenkasse uÈberproportional beteiligt werden: Bei jeder BeitragssatzerhoÈhung um 0,1% war vorgesehen, die Zuzahlung automatisch um 1 DM bzw. einen Prozentpunkt zu erhoÈhen. Damit verknuÈpfte der Gesetzgeber eine Festschreibung der BeitragssaÈtze bis Ende 1996, was der politischen PrioritaÈt der BeitragssatzstabilitaÈt entspricht. Zum 1. Januar 1997 sollten die BeitragssaÈtze dann 39 Mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen? Mehr Wettbewerb als Ziel Versicherte in die Verantwortung nehmen 40 Suchen Treffer Hilfe Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Abb. 5: Ûberschuû-/Defizitentwicklung in der GKV (West) und ergriffene Maûnahmen. (Bundesministerium fuÈr Gesundheit) 16 z 01 03 Inhalt Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer einheitlich um 0,4 Prozentpunkte reduziert werden. Mit der Beitragssatzerhebung unmittelbar verbunden wurde auch ein automatisches KuÈndigungsrecht fuÈr den Versicherten, woraus sich der Gesetzgeber ebenfalls einen staÈrkeren Wettbewerbsdruck auf die Krankenkassen versprach. Bis zum Inkrafttreten des SolidaritaÈtsstaÈrkungsgesetzes nach dem Regierungswechsel Ende 1998 wurde diese Beitragssatzkoppelung jedoch nicht in die Praxis umgesetzt (Ønderung durch das GKV-FinanzstaÈrkungsgesetz 1998). DaruÈber hinaus sah das Gesetzesvorhaben ein Wahlrecht auf Kostenerstattung fuÈr den Patienten vor, was als erster Schritt zur Flexibilisierung des Solidarprinzipes gedacht war. Insgesamt nahm in beiden NOGe die Bedeutung der Selbstbeteiligung zu: Es wurden folgende Zuzahlungen angehoben: z fu È r Arzneimittel um jeweils 5 DM auf 9, 11 und 13 DM z fu È r Heilmittel um 5% auf insgesamt 15% z weitere Erho È hungen bei Krankenhausleistungen sowie im Fahrkostenbereich. Einen besonderen Stellenwert der Reform nahmen die Ønderungen in der zahnmedizinischen Versorgung ein. Die bislang prozentualen ZuschuÈsse wurden in einen IdemnitaÈtstarif uÈberfuÈhrt, verbunden mit einer Aufwertung der Eigenvorsorge durch regelmaÈûige prophylaktische Leistungen. In den Neuordnungsgesetzen war weiterhin vorgesehen, die Arznei- und Heilmittelbudgets durch RichtgroÈûen zu ersetzen. WuÈrdigung der Maûnahmen Die mit den NOGe erhofften durchgreifenden wettbewerblichen Reformanstrengungen wurden nur teilweise in 41 Nur als StuÈckwerk realisiert 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Und dennoch wieder Dirigismus Suchen Treffer Hilfe die RealitaÈt umgesetzt. Vor allem die Erprobungsregelungen auf der Vertragsseite mit Modell- und StrukturvertraÈgen sind nur eingeschraÈnkt durchfuÈhrbar ausgestaltet und vor allem an den Zustimmungsvorbehalt der KassenaÈrztlichen Vereinigung geknuÈpft worden. Trotzdem hat der Gesetzgeber versucht, Elemente einer der individuellen Eigenverantwortung und Handlungsfreiheit entsprechenden Ordnungspolitik zu implementieren. Dazu gehoÈren in erster Linie das Wahlrecht zwischen Kosten- und Sachleistung, die angestrebten WahlmoÈglichkeiten fuÈr den Versicherten und die hoÈheren Selbstbeteiligungsregelungen. Hierdurch wurde das Versicherungsprinzip und die VersichertenpraÈferenzen staÈrker zur Geltung gebracht und namentlich die Eigenverantwortung von Versicherten und Leistungserbringern gestaÈrkt und der Wettbewerb zwischen der Kassen intensiviert. Ordnungspolitisch ambivalent ist jedoch zu vermerken, daû neben den gerade aufgezeigten Elementen auch wiederum dirigistische Eingriffe ausgeweitet wurden. Die Festschreibung der BeitragssaÈtze und vor allem die geplante Koppelung der BeitragssaÈtze sind mit einer freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung kaum konform. Insbesondere die kartellrechtlichen Strukturen auf der Steuerungsebene zwischen den Krankenkassen und den KassenaÈrztlichen Vereinigungen sind wie bereits weiter oben erwaÈhnt durch den Zustimmungsvorbehalt bei Erprobungsregelungen sogar noch verstaÈrkt worden. Ob dem Ziel einer Stabilisierung der BeitragssaÈtze und damit der Lohnnebenkosten mit den Gesetzen geholfen werden kann, scheint eher zweifelhaft zu sein, wurde doch das Problem der Beitragsbemessungsgrenze in den NOGe weitgehend vernachlaÈssigt. 42 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen 16 z 01 03 Hilfe Treffer Gesundheits-Reform 2000 Nach dem Regierungswechsel Ende 1998 wurden durch das SolidaritaÈtsstaÈrkungsgesetz einige Maûnahmen insbesondere der Neuordnungsgesetze, wie etwa die hoÈheren Zuzahlungsregelungen bei Arzneimittel sowie die generellen Kostenerstattungsregelungen, wieder zuruÈckgenommen. Dieses sog. ¹Vorschaltgesetzª soll nur erster Schritt einer ¹Gesundheits-Reform 2000ª sein, die im Rahmen dieser Arbeit nur in GrundzuÈgen dargestellt und beurteilt werden kann (vgl. Eckpunkte 1999). Projektierte Maûnahmen Der besondere Stellenwert der Gesundheitsreform kommt der Verzahnung zwischen ambulanter und stationaÈrer Pflege zu. Es ist projektiert, die sektorale Budgetierung zugunsten eines Globalbudgets aufzuheben. Die duale Finanzierung bei den KrankenhaÈusern soll endguÈltig in eine monistische, unter der Verantwortung der Krankenkassen liegenden Regie umgewandelt werden. Auch die MoÈglichkeit zu neuen innovativen Versorgungsformen in der Linie der §§ 63 und 73 SGB V soll weiter ausgebaut werden, wobei teilweise der Zustimmungsvorbehalt der KassenaÈrztlichen Vereinigungen nicht erforderlich ist. Auf der Ebene der ambulanten Versorgung erhaÈlt der Hausarzt und einige ausgewaÈhlte FachaÈrzte eine sog. ¹gate-keeper-Funktionª zur Steuerung des Patientenflusses. Der Gesetzgeber erhofft sich durch diese Regelung zum einen die Erzielung zusaÈtzlicher Wirtschaftlichkeitsanreize, zum anderen eine transparentere Leistungskontrolle im System der GKV. Bei den Arzneimitteln wird die schon beim GSG eroÈrterte Idee einer Positivliste wieder aufgegriffen. Kriterien fuÈr die Aufnahme in die Positivliste sind der nachgewie43 Neues politisches Fahrwasser: RuÈcknahme durchgefuÈhrter Reformschritte Steuerung uÈber Globalbudget Hausarzt Arzneimittel 16 z 01 03 Entwicklung der Gesundheitspolitik in Deutschland Inhalt Suchen Treffer Hilfe sene therapeutische Nutzen und die ZweckmaÈûigkeit der Verordnung. Die Ursachen werden nicht angegangen WuÈrdigung der Maûnahmen Als ordnungspolitisch positiv ist die projektierte Umstellung auf die monistische Finanzierung im stationaÈren Sektor anzusehen. Das gilt ebenfalls fuÈr die vorgesehene MoÈglichkeit fuÈr die gesetzlichen Krankenversicherungen, vernetzte Versorgungsformen anzubieten zu koÈnnen ohne VertraÈge mit der KassenaÈrztlichen Vereinigung abzuschlieûen. Diese positiven AnsaÈtze werden konterkariert von Globalbudgets, Positivlisten und vom Hausarztmodell. Insbesondere die im SolidaritaÈtsstaÈrkungsgesetz zuruÈckgenommenen Elemente der Kostenerstattung und der Selbstbeteiligungsregelungen fuÈr den Versicherten loÈsen sich wieder vom Prinzip der Eigenvorsorge und Eigenverantwortung. Auch dieses Reformmodell knuÈpft in erster Linie mit diskretionaÈren Maûnahmen an die bisherige Symptombehandlung an, ohne den Ursachen der Fehlsteuerungen und des Ausgabenwachstums begegnen zu wollen. Zwischenergebnis Alle bisherigen Maûnahmen der Gesundheitspolitik in Deutschland sind gepraÈgt von einem Nebeneinander verschiedener Steuerungsformen, von einem kontinuierlichen Anstieg interventionistischer Maûnahmen, die zwangslaÈufig immer weitere Maûnahmen nach sich ziehen. Die Akteure des Gesundheitswesen versuchen haÈufig, durch angepaûte Verhaltensweisen den vom Gesetzgeber intendierten Wirkungen auszuweichen und veranlassen diesen so zu immer weiteren Folgeinterventionen. Resultat ist eine sog. Interventionsspirale, die vor allem auf 44 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen 16 z 01 04 Hilfe Treffer von Mises zuruÈckgeht (s. Streit 1995 S. 113 ff.). Die Unfreiheit und die EntmuÈndigung aller Beteiligten wird nicht abgebaut, weil die bisherigen Maûnahmen, die nichts anderes als eine bloûe SymptombekaÈmpfung darstellen, nicht greifen. Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik 16 z 01 | 04 Die aufgezeigten Entwicklungen der deutschen Sozialpolitik zeigen durchweg Schwierigkeiten sowohl mit dem Prinzip der SubsidiaritaÈt als auch mit der selbstgewaÈhlten Zielsetzung einer langfristigen Beitragssatzstabilisierung. Daraus ergeben sich fuÈr den folgenden Abschnitt zwei Fragerichtungen. Einmal ist unter BeruÈcksichtigung des Status quo moÈglichen Fehlsteuerungen auf der Steuerungsebene nachzugehen, zum anderen soll die zweite ordnungspolitische Betrachtung nach den Ordnungsbedingungen und -defiziten in derjenigen SphaÈre fragen, in welcher die relevanten Entscheidungen fallen, naÈmlich in der Politik. Diagnose des gesetzlichen Gesundheitssystems SteuerungsmaÈngel Der Ausdruck Kostenexplosion bzw. Ausgabenfieber bezeichnet ein seit Jahren ansteigendes Problem des volkswirtschaftlich immer wichtiger werdenden Gesundheitssektors. Trotz einer simultanen Anhebung der BeitragssaÈtze und der Beitragsbemessungsgrenzen wurden immer mehr Mittel notwendig, um die Ausgaben der GKV zu finanzieren (Tabelle 2). Die Frage ist folglich zu stellen, ob die Kostenexplosion nicht ein Ergebnis verfehlter Anreizstrukturen fuÈr die Akteure im Gesundheitswesen ist. Durch das Sachleistungsprinzip und das Bedarfsprinzip wird im Gesundheitswesen der Preisausschluûmecha45 Die Gesundheitspolitik knuÈpfte bislang hauptsaÈchlich an der Symptombehandlung an VollkaskomentalitaÈt der Versicherten 16 z 01 04 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen Treffer Hilfe Tabelle 2: BeitragssaÈtze GKV. (Institut der deutschen Wirtschaft KoÈln, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung Ausgabe 1998, Tabelle 87 f., Tabelle 95) Jahr Beitragssatz in % / Beitragsbemessungsgrenze in DM West Ost 1980 1990 1991 11,4 / 3150 12,6 / 4725 12,2 / 4875 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 12,8 / 5100 13,4 / 5400 13,2 / 5700 13,2 / 5850 13,5 / 6000 13,5 / 6150 13,6 / 6300 ± / 6375 ±/± ±/± 12,8 / 2250 (ab 1.7.91: 2550) 12,6 / 3600 12,6 / 3975 12,9 / 4425 12,8 / 4800 13,5 / 5100 13,9 / 5325 14,0 / 5250 ± / 5400 nismus auûer Kraft gesetzt (vgl. Oberender u. Hebborn 1994 S. 55). Die individuelle Zahlungsbereitschaft und ZahlungsfaÈhigkeit entscheiden nicht mehr uÈber die Inanspruchnahme einer medizinischen Leistung. Daraus resultiert eine VollkaskomentalitaÈt der Versicherten. Der einzige limitierende Faktor ist faktisch die individuelle Zeit. Der Zusammenhang zwischen individueller Leistungsinanspruchnahme und den BeitragssaÈtzen ist so kaum spuÈrbar. Es liegt das sog. Moral-Hazard-Problem vor, der Einzelne hat kaum Anreize zu krankheitsverhindernden und gesundheitsfoÈrdernden Verhalten. Durch die steigenden KrankenversicherungsbeitraÈge ist eher ein Anstieg des Anspruchsniveaus wahrscheinlich, da die QualitaÈtserwartungen steigen werden. Es liegt eine Art Teufelskreis im Gesundheitswesen vor, der Ausdruck einer RationalitaÈ46 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen 16 z 01 04 Hilfe Treffer tenfalle zwischen individueller RationaliaÈt und kollektiver Notwendigkeit ist (Oberender u. Hebborn 1994 S. 60 ff.). Der einzelne Leistungserbringer, namentlich der Arzt, hat keinen Anreiz zu sparsamem Verhalten, da eine Mengenausweitung zunaÈchst eine Gewinnsteigerung bedeutet. Es liegt eine sog. angebotsinduzierte Nachfrage vor. MoÈglich ist eine derartige Ausweitung der Nachfrage primaÈr durch den Informationsvorsprung der Leistungsanbieter gegenuÈber den Patienten. Der Patient merkt nur selten, wann der Leistungsumfang das erforderliche Maû uÈbersteigt. FuÈr den Patienten als Versicherten besteht unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch kein Anreiz, sich die fehlenden Informationen zu beschaffen, da er die aÈrztliche Leistung insbesondere beim Sachleistungsprinzip als fast kostenlos empfinden kann. Als einer der wichtigsten Kostentreiber im Gesundheitswesen ist der medizinische Fortschritt zu bezeichnen. Dieser laÈût zwar einerseits die Diagnose- und TherapiemoÈglichkeiten zugunsten des Patienten ansteigen, andererseits fehlte bisher ein entsprechender Anreiz fuÈr kostensparende Prozeûinnovationen. Da die Patienten die Kosten, wie bereits oben ausgefuÈhrt, nicht zu beruÈcksichtigen brauchen, haben sie kein Interesse an kostenguÈnstigeren Technologien, sofern sie keinen medizinischen Vorteil bieten. Die mit dem technologischen Fortschritt, vornehmlich add-on- sowie half-way-Technologie, parallel verlaufende demographische Entwicklung verschaÈrft die Finanzierungsproblematik des gesetzlichen Gesundheitssystems noch zusaÈtzlich. Hinzu kommt, daû ein veraÈnderter Gesundheitsbegriff die Herausforderungen an den Leistungskatalog der GKV kontinuierlich erhoÈhen. Hierbei seien nur Elemente der Wellness-Bewegung oder der Lifestyle-Medizin genannt. 47 Ørzte haben keine Veranlassung zum Sparen Technischer Fortschritt hat seinen Preis Demographische Entwicklung und veraÈnderter Gesundheitsbegriff 16 z 01 04 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen Treffer Hilfe Die Steuerungsproblematik wird durch das Prinzip der gemeinsamen Selbstverwaltung auf der institutionellen Ebene noch verstaÈrkt. Sowohl auf Seiten der Versicherten als auch auf Seite der Leistungserbringer besteht die gesetzliche Pflicht zur verbandlichen Selbstorganisation. Diesen hoheitlichen Kollektiven auf der Mesoebene (VerbaÈnde der Krankenkassen, KassenaÈrztliche Vereinigungen) wird die Aufgabe zugeschrieben, uÈber den Leistungsumfang und die Leistungsentlohnung mittels Verhandlungen zu entscheiden. Diese Verfahren aÈhnelt einem bilateralen Monopol. Gesundheitswesen wirkt volkswirtschaftlich ambivalent Ausgabenentwicklung als volkswirtschaftliches Problem Eine VeraÈnderung der Ausgabenanteile fuÈr bestimmte GuÈter und Dienstleistungen ist innerhalb einer Volkswirtschaft zunaÈchst Ausdruck des normalen Strukturwandels einer Wirtschaft. GuÈter mit hoher EinkommenselastizitaÈt der Nachfrage ± sog. einkommenssuperiore GuÈter (vgl. Fehl u. Oberender 1994 S. 226) ± erlangen dabei eine zunehmende Bedeutung. Die Bedeutung der Kostenfalle im Gesundheitswesen entsteht erst durch die Koppelung der BeitraÈge an die Lohnkosten, was unter BeruÈcksichtigung wenig steigender ProduktivitaÈt die Auswirkungen auf die WettbewerbsfaÈhigkeit mit sich bringt. GrundsaÈtzlich impliziert die StabilitaÈt des Krankenversicherungbeitrages keine Konstanz der GKV-Einnahmen. Allgemeine LohnerhoÈhungen sowie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze bescheren der GKV steigende Einnahmen. Damit ermoÈglicht der Grundsatz der BeitragssatzstabilitaÈt, ebenso wie ein beispielsweise grundlohnorientiertes Budget, im Zeitverlauf durchaus ZuwaÈchse bei den Gesundheitsausgaben. Trotz dieser Dyna48 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen 16 z 01 04 Hilfe Treffer Abb. 6: BeschaÈftigungsentwicklung ausgewaÈhlter Branchen 1993±1996. (Statistisches Bundesamt) misierung kommt es jedoch zur willkuÈrlichen Vorgabe einer Gesundheitsquote, mit anderen Worten zu einer (wenn auch dynamisierten) Obergrenze fuÈr den maximalen Anteil der Gesundheitsausgaben am Volkseinkommen. Die Realisierung von Wachstumspotentialen eines Marktes kann aber nur bei uÈberproportionalen ZuwaÈchsen bei den entsprechenden Ausgaben erfolgen. Liegt die vorgegebene Gesundheitsquote darunter, wird eine Realisierung von Wachstumspotentialen, und damit von BeschaÈftigungschancen, behindert. Einen exemplarischen Ûberblick uÈber die Bedeutung des Sektors Gesundheitswesen im Strukturwandel zeigt Abb. 6. Wenn ein staÈndig wachsender Teil des Einkommens nicht mehr zur freien Disposition steht, sondern fuÈr eine solidarische Krankenversicherung aufgewendet werden muû, stellt dies einen massiven Eingriff in die KonsumentensouveraÈnitaÈt dar. Die Nutzung des Wachstumspotentials im Gesundheitswesen setzt somit z einen Verzicht auf eine Kostenda È mpfungspolitik voraus und bedarf z der DezentralitaÈt der Leistungserbringung entsprechend den individuellen WuÈnschen der Nachfrager. 49 KonsumentensouveraÈnitaÈt erheblich behindert 16 z 01 04 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen Treffer Hilfe Ihren Niederschlag finden diese Ziele in der Notwendigkeit einer Ønderung der Rahmenordnung des Gesundheitswesens. Problem der Interventionsspirale Staatliche Eingriffe haben schwer schaÈtzbare Folgen Ordnungspolitische Defizite Spannungsfeld zwischen SubsidiaritaÈt und SolidaritaÈt Wenn das Gesundheitswesen in Deutschland einer mit SolidaritaÈtselementen verbundenen marktwirtschaftlichen Ordnung folgen soll, bedeutet dies im Sinne des SubsidiaritaÈtsprinzips eine eindeutige Zuordnung der Kompetenzen auf die geeigneten Ebenen. Bei ungeeigneter Wahl der Bezugsgruppe kann, wie auch der SachverstaÈndigenrat fuÈr die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen feststellt, keine stabile Balance zwischen SolidaritaÈt und Eigenverantwortung realisiert werden (SachverstaÈndigenrat 1994 S. 60 f.). Eine marktwirtschaftliche Ordnung basiert auf der individuellen Freiheit, d. h. auf der Ûberzeugung, daû selbstinteressierte Handlungen uÈber wettbewerbliche Prozesse regelmaÈûig ein sozial erwuÈnschtes Resultat hervorbringen. Wenn Individuen zwangsweise in Kollektive eingebunden werden, wie etwa in ein System einer gesetzlichen Krankenversicherung, so sind solche Maûnahmen legitimationsbeduÈrftig (eingehend zum Sozialprinzip Volk 1984) Durch die VerduÈnnung persoÈnlicher Haftung und deren Ûbertragung auf ein Kollektiv entsteht sehr schnell ein Verantwortungsvakuum, das institutionell aufwendig und kostspielig aufgefuÈllt werden muû. Insbesondere die Folgekosten staatlicher Eingriffe muÈssen bei einem Vergleich zwischen der Steuerungsebene Markt und der Ebene Staat verglichen werden (vgl. Streit 1996 S. 258). Element dieser Folgen sind auch dynamische Effekte, deren Wirkung u. U. erst sehr langfristig sichtbar und nicht immer leicht monetarisierbar ist. 50 Ordnungspolitische Beurteilung der Gesundheitspolitik Inhalt Suchen 16 z 01 04 Hilfe Treffer Im Hinblick auf die Systeme sozialer Sicherung muû auch die Frage erlaubt sein, welchen Einfluû die verordnete SolidaritaÈt im Makrokollektiv auf die freiwillige SolidaritaÈt, auf die Eigenvorsorge, hat. Schon Eucken weist darauf hin, daû das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zur Durchsetzung einen von Partikularinteressen und wirtschaftlichen Machtzusammenballungen unabhaÈngigen ¹starkenª Staat benoÈtigt (vgl. Eucken 1975 S. 325 ff.). Die kontinuierliche Ausdehnung staatlicher ZustaÈndigkeit und interventionistischer Eingriffe, wie auch mit einigen Ausnahmen die Entwicklung seit den KostendaÈmpfungsgesetzen deutlich macht, lassen erkennen, daû die auch von Eucken geforderten Kriterien der OrdnungskonformitaÈt und SubsidiaritaÈt nicht ausreichend waren, um diskretionaÈre politische Entscheidungen einzudaÈmmen. Institutionelles Defizit in der Gesundheitspolitik Der Anspruch der Sozialen Marktwirtschaft, Elemente des Marktes mit dem Anspruch eines garantierten, nach dem Bedarfsprinzip ausgerichteten gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen zu vereinbaren, verleiht dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft eine groûe politische AttraktivitaÈt. Die Frage nach den Ursachen der zunehmenden Interventionsspirale im Gesundheitswesen weist den Blick auf den politischen Prozeû. Die theoretischen AnsaÈtze der Neuen Politischen Úkonomie untersuchen die Maûnahmen des Staates durch die Anreize der Politiker innerhalb eines demokratischen Staates (vgl. Bernholz u. Breyer 1994). Wird das Verhalten der politischen Entscheider als Stimmenmaximierung aufgefaût, die auf einem Markt fuÈr WaÈhlerstimmen agieren, so wird offensichtlich, welche Seite der So51 Bedeutung des WaÈhlerstimmenmarktes Der Ansatz der Politischen Úkonomie 16 z 01 05 Skizze eines LoÈsungsvorschlages Inhalt Trennung der Steuerungsebenen waÈre notwendig 16 z 01 | 05 Suchen Treffer Hilfe zialen Marktwirtschaft im politischen Prozeû beguÈnstigt wird. Die Sicherung einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die allgemeinguÈltigen, moÈglichst diskriminierungsfreien Regeln folgt, gleicht der Produktion eines oÈffentlichen Gutes, wogegen spezielle sozialpolitische Maûnahmen spuÈrbare Wirkungen fuÈr bestimmte Gruppen haben, die als WaÈhler genau solche Sondervorteile nachfragen. Somit besteht die Tendenz, zum einen ordnungspolitische Maûnahmen zugunsten sozialpolitischer Interventionen zu vernachlaÈssigen und zum anderen moÈgliche politische ManoÈvriermassen nach MoÈglichkeit zu vergroÈûern. Dabei sind die EinfluûmoÈglichkeiten namhafter Interessengruppen nicht zu unterschaÈtzen. Auch wenn diese Diagnose der politischen Úkonomie nicht uneingeschraÈnkt zutreffen muû, sind wichtige Ansatzpunkte fuÈr Reformen ableitbar. Insbesondere ist auf eine staÈndige ¹Durchmischungª der Steuerungsebenen zu verzichten. Aufgabe des Staates innerhalb einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung muû es sein, moÈglichst gleiche Rahmenbedingungen fuÈr alle zu gewaÈhrleisten. Skizze eines LoÈsungsvorschlages Ausgehend von den Ûberlegungen zu SteuerungsmaÈngeln im Gesundheitswesen und dem Zusammenspiel von SolidaritaÈt und SubsidiaritaÈt soll im folgenden Abschnitt ein LoÈsungsweg fuÈr ein zukunftsfaÈhiges Gesundheitswesen in Deutschland skizziert werden. ZunaÈchst sind die GrundzuÈge im Sinne eines Leitgedankens aufzufuÈhren, um dann im zweiten Schritt eine Agenda moÈglicher Reformschritte abzuarbeiten. Dabei gilt es jedoch, gerade vor dem Hintergrund der politischen Úkonomie der Realisierbarkeit der ReformvorschlaÈge Rechnung zu tragen. Im Sinne ei52 Skizze eines LoÈsungsvorschlages Inhalt Suchen 16 z 01 05 Hilfe Treffer nes ¹social piecemeal engineeringª nach Popper (vgl. Popper 1974 S. 51 ff.) sollen zwar bisherige Strukturen nicht vernachlaÈssigt werden, doch muû eine Reformoption immer den gesamten ordnungspolitischen Zusammenhang betrachten. Leitlinien einer Reform Das Gesundheitswesen krankt ± wie bereits herausgestellt ± an falschen Anreizsystemen, einem Verantwortungsvakuum und einer staÈndig wachsenden Reglementierungsflut. Ziel einer Reform muû es daher sein, die Ursachen von Ineffizienzen zu bekaÈmpfen und systemimmanente individuelle Anreize zu schaffen. Gerade unter dem ambivalenten Gesichtspunkt kuÈnftiger Wachstumspotentiale im Gesundheitswesen darf KostendaÈmpfung nicht als Selbstzweck verstanden werden (vgl. Oberender 1996 a). Die EingriffsintensitaÈt erscheint in Anbetracht einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung als zu hoch. Verteilungspolitische Zielsetzungen duÈrfen als BegruÈndung fuÈr eine weitere BeschraÈnkung der individuellen Freiheit nicht herangezogen werden. Es gilt das VerhaÈltnis von SolidaritaÈt und SubsidiaritaÈt neu zu formulieren. Im Sinne des zugrundegelegten Menschenbildes kann die Annahme getroffen werden, daû die Wiederherstellung von Eigenverantwortung und -initiative das Problem kollektiver SelbstschaÈdigung minimieren koÈnnte, da der einzelne wieder staÈrker fuÈr die Folgen seines Handelns Verantwortung traÈgt (Haftungsprinzip). Das Zusammenwirken von Handlungsfreiheit und Verantwortung ist als allgemeines Prinzip im Gesundheitswesen zu verstehen, das aber mit der politischen Vorgabe des Solidarprinzips zu vereinbaren ist. Eine Versorgung mit medizinisch notwendigen GesundheitsguÈtern unab53 Anreizsysteme zur Eigenvorsorge und Eigenverantwortung Es fehlt der eindeutige Grundsicherungskatalog 16 z 01 05 Skizze eines LoÈsungsvorschlages Inhalt Suchen Treffer Hilfe haÈngig von der individuellen ZahlungsfaÈhigkeit ist in der deutschen Gesellschaft eine nicht angreifbare ethische PraÈmisse. Der soziale Auftrag muû aber als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. GemaÈû dem allen sozialen Zusammenleben inhaÈrenten Problem der knappen Ressourcen muû eine politische Entscheidung uÈber einen Grundsicherungskatalog getroffen werden, der eine Art Mindestsicherung fuÈr alle BuÈrger bereitstellt. Leitbild einer solidarischen Wettbewerbsordnung Reform der Versicherungspflicht Agenda zur Reform der GKV Aufgrund der politischen Vorgaben des SolidaritaÈtsprinzips sind die Rahmenbedingungen so zu gestalten, daû der Wettbewerb mit dem Solidarprinzip vereinbar ist (vgl. Oberender u. Hebborn 1994 S. 143 ff.). Voraussetzungen hierfuÈr sind lediglich der Kontrahierungszwang und das Diskriminierungsverbot. Jede gesetzliche Krankenkasse, wobei durchaus uÈberlegt werden koÈnnte, die Friedensgrenze zwischen PKV und GKV aufzulockern, muû jedem Versicherungspflichtigen die als notwendig erachteten Regelleistungen mit einkommensabhaÈngig kalkulierten BeitraÈgen anbieten. Bei der Ausgestaltung der Versicherung muû der Kreis der versicherten Personen einerseits erweitert und andererseits beschraÈnkt werden. Die Versicherungspflicht sollte demnach nicht mehr an die abhaÈngige BeschaÈftigung geknuÈpft werden, sondern sich nach einer umfassenderen Einkommensdefinition richten. Die Reform der Versicherungspflicht ist unmittelbar verbunden mit einer Neudefinition des Leistungskatalogs. Neben AnreizuÈberlegungen (Rationalisierung) wird auch eine Rationierung auf das medizinisch Notwendige erfolgen muÈssen (vgl. Oberender 1996 b). Ûber den Regelleistungskatalog hinaus sind die Krankenkassen dem vollen Wettbewerbsdruck 54 Skizze eines LoÈsungsvorschlages Inhalt Suchen 16 z 01 05 Hilfe Treffer ausgesetzt, d. h. es darf keine Marktaustrittsbarrieren (Bestandsschutz) geben. Es steht jedem Versicherten frei, uÈber den Mindeststandard hinaus Versicherungsleistungen gegen zusaÈtzliche versicherungsaÈquivalent gestaltete Beitragszahlung zu entrichten. Auf einem derart konzipierten Versicherungsmarkt koÈnnen die jeweiligen Krankenversicherungen durch eine Vielzahl von Aktionsparametern guÈnstige Versicherungsangebote auf den Markt bringen. Voraussetzung hierfuÈr ist aber zugleich ein Wettbewerb auf Seiten der Leistungserbringer (selektives Kontrahieren). FuÈr die Versicherten impliziert eine Koppelung von Freiheit und Verantwortung eine Erweiterung ihres Aktionsspielraumes. Durch die Úffnung des Marktes auf Seiten der Krankenversicherungen steigt die Wahrscheinlichkeit, eine den individuellen PraÈferenzen entsprechende Versicherung zu finden. Die Versicherten werden aber zusehends unterschiedlichen Selbstbeteiligungsmodellen und Wahltarifen gegenuÈberstehen, was Element einer an Eigenvorsorge und -verantwortung orientierten Gesundheitspolitik sein muû. Im Sinne des Solidarprinzips bleiben die Patienten aber uÈber moÈgliche HaÈrtefallregelungen vor uÈbermaÈûigen BeitraÈgen im Grundsicherungsbereich geschuÈtzt. Mit einem freiheitlichen und wettbewerblichen System sind zentral festgelegte Budgetierungen fuÈr die Leistungserbringer nicht vorstellbar. Im Bereich der ambulanten Versorgung kann es kuÈnftig eine Bedarfszulassung nicht mehr geben, die Ørzte muÈssen sich jedoch den VeraÈnderungen im Vertragsbereich stellen. Es koÈnnen regional oder je nach Krankenkasse unterschiedliche VersorgungspraÈferenzen bestehen. Das VertragsverhaÈltnis von Arzt und Kasse kann sich dadurch vielfaÈltig gestalten. Neben 55 HaÈrtefallregelung fuÈr Grundsicherung Ambulanter Bereich 16 z 01 06 ResuÈmee Inhalt StationaÈrer Bereich 16 z 01 | 06 Durch Eigenverantwortung zu echter SubsidiaritaÈt Suchen Treffer Hilfe unterschiedlichen Honorierungsformen muÈssen besondere Versorgungsstrukturen wie etwa Managed-Care- oder Disease-Management-Modelle moÈglich sein. Des weiteren muû auch fuÈr die Leistungserbringer die Koalitionsfreiheit gelten. Es koÈnnen sich durchaus bestimmte regionale oder uÈberregionale Ørztegruppierungen bilden, eine Zwangsmitgliedschaft in einer KassenaÈrztlichen Vereinigung ist jedoch nicht mehr zu rechtfertigen. Im Bereich der stationaÈren Versorgung muû das staatliche Engagement weitgehend zuruÈckgenommen werden, um insbesondere diskriminierende Wettbewerbsverzerrungen zwischen ambulanter und stationaÈrer Versorgung abzubauen. ResuÈmee Das Anliegen des vorliegenden Beitrages war es nicht, eine grundlegende Reformoption fuÈr das deutsche Gesundheitswesen zu entwickeln. Vielmehr sollte aufgrund einer schrittweisen EinfuÈhrung in relevante Fragestellungen gesundheitspolitischer Entscheidungen aufgezeigt werden, inwiefern die realisierte Gesundheitspolitik vom zugrundegelegten Leitbild schrittweise abgewichen ist. Dabei konnte festgestellt werden, daû der Gesetzgeber weitgehend mittels einer ad-hoc-Politik versucht hat, die Probleme im Gesundheitswesen zu loÈsen, ohne die im institutionellen Bereich liegenden Steuerungsdefizite ernsthaft anzugehen. FuÈr die ErklaÈrung dieses PhaÈnomens kann vor allem auch die Bedeutung des WaÈhlerstimmenmarktes herangezogen werden, was jedoch noch staÈrker eine ordnungspolitische Neuorientierung einfordert. Entscheidend fuÈr die Zukunft der Gesundheitspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft wird es sein, das Prinzip der Eigenverantwortung wieder in den Vordergrund ord56 ResuÈmee Inhalt Suchen 16 z 01 06 Hilfe Treffer nungspolitischer Konzeptionen zu stellen. SubsidiaritaÈt muû insofern als Verpflichtung ernst genommen werden und darf nicht unter dem Vorwand einer am Gleichheitsideal orientierten SolidaritaÈt Sonderrechte fuÈr privilegierte Gruppierungen schaffen. Unter diesen Bedingungen koÈnnen auch die Wachstumspotentiale im Gesundheitsmarkt genutzt werden. z zusammenfassung Gesundheitspolitische Entscheidungen werden in der Bundesrepublik im Zusammenspiel von Patient, Krankenversicherung und Leistungserbringer getroffen. Das wirtschaftspolitische Handeln folgt dabei dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft, das auf einer Verbindung von Freiheit und SolidaritaÈt fuût. Die ordnungspolitische Analyse der gesundheitspolitischen Maûnahmen in den letzten Jahren zeigt eine zunehmende Tendenz zu interventionistischen Eingriffen, die vom Grundsatz der Eigenverantwortung und SubsidiaritaÈt immer staÈrker abweichen. Eine Reformoption muû sich diesen GrundsaÈtzen wieder zuwenden, um einmal die im Gesundheitswesen liegenden Wachstumspotentiale auch nutzen zu koÈnnen und um zum anderen die EigenstaÈndigkeit und Selbstentfaltung des Individuums zu garantieren. 57 16 z 01 06 ResuÈmee Inhalt Suchen Literatur Treffer Hilfe Ballast T (1993) Die neuen Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ørzte und ihr Konzept strukturierter Meûzahlen. Die Krankenversicherung 45:114 ± 116 Bernholz P, Breyer F (1994) Grundlagen der Politischen Úkonomie, Bd 2: Úkonomische Theorie der Politik, 3. Auflage, TuÈbingen Bundesapothekenkammer (1988) Wissenschaftlicher Beirat der BAK: FestbetraÈge der Gruppen zwei und drei streichen! 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